Zweiter Tag    Goms - Seez (Haute Savoie), 256km

Kaum aufgestanden, traue ich meinen Augen nicht: Keine Wolke ist am Himmel, es herrscht strahlender Sonnenschein. Na gut, so soll's sein. Nach dem Frühstück fahren wir gleich los, das Rhônetal abwärts Richtung Süden über Lax, Mörel nach Brig, der heimlichen Hauptstadt des Oberwallis. Die Strasse ist gut ausgebaut, wenige Kurven und Serpentinen. Talabwärts auf der rechten Seite verbirgt sich hinter den Bergrücken der grosse Aletschgletscher, immerhin der grösste Gletscher der Alpen. In Brig steigt der Simplonpass Richtung Süden in die Höhe. Aber wir haben leider keine Zeit für einen Abstecher, sondern fahren weiter entlang der Rhône nach Visp, wo das Saasaer- und Mattertal abzweigen, vorbei an Raron mit seiner berühmten Felskirche, durch den legendären Pfynwald, einem Stückchen Provence im Wallis, der von der gut ausgebauten Schnellstrasse aus nicht besonders imponiert und über die Sprachgrenze bis Sierre, in den französischen Teil des zweisprachigen Wallis. Die einladenden und interessanten Seitentäler lassen wir heute unbeachtet. Ebenso das Grab Rainer Maria Rilkes, das bei Raron an der Burgkapelle liegt. Vorbei geht es auf ziemlich langweiliger Route dann auch an Sion mit seinen alten, weithin sichtbaren und das Tal beherrschenden Burgen durch die Obstplantagen (v.a. Aprikosen) nach Martigny (dt. Martinach), das wir kurz vor Mittag erreichen. Das Tal liegt in der warmen Morgenluft, die links und rechts aufragenden Felsgebilde verleihen unserer Fahrt einen würdigen Rahmen. Im Unterwallis überragt links der markante runde Gipfel des Pierre Avoi die Szene. Lange ist's her, dass ich dort oben war..... Vom Fluss sieht man von der Strasse aus nur wenig, höchstens bei Überquerungen können wir die Rhône blau-weisslich schimmernd und träge dahinfliessend wahrnehmen.

Bei Martigny im Rhônetal
Bei Martigny liegt das Rhôneknie, hier verläuft der Fluss in einem scharfen Knick in nordwestliche Richtung hin zum Genfer Seen, in Martigny centre lässt es sich unter Platanen wunderbar rasten, wer Laune hat, kann schöne Ausstellungen der Fondation Giannada, das Motormuseum oder ein römisches Forum besichtigen. Martigny, oder Martinach auf deutsch, war schon zur Römerzeit eine bedeutende Örtlichkeit von strategischem Wert. Nach einer kurzen Rast fahren wir weiter Richtung Col de la Forclaz, der hinter dem Städtchen von der Strasse zum grossen Sankt Bernhard nach rechts abbiegt und in weiten Kehren auf 1526m ansteigt. Zwischendurch eröffnet sich ein herrlicher Blick zurück auf das Rhônetal. Die Passhöhe des Forclaz ist unspektakulär, auf der Abfahrt hat man rechts der Strasse einen kurzen Eindruck der gigantischen Trient-Schlucht, der Gorge de Trient. Wir fahren weiter, biegen auch nicht zum Lac d'Emosson ab, der rechts oberhalb der Schlucht gelegen ist, sondern überqueren die Staatsgrenze nach Frankreich bei Le Châtelard.

Martigny lädt zu einem Kaffee ein

Auf dem Col de la Forclaz, Blick Richtung Rhônetal
Die Strasse wird gleich deutlich schlechter, halt nicht mehr schweizerisch und der Verkehr wird dichter, es zieht viele Ausflügler hierher. In z.T. engen Kehren, durch schöne Dörfchen fahren wir auf den Col des Montets, 1461m. Da staunen wir nicht schlecht: Vor uns erhebt sich die weisse Pracht der Aig. Verte, (4122m), und gibt einen Vorgeschmack auf das Kommende. Während der Abfahrt nach Chamonix taucht er nach dem Dorf Argentiere über dem Tal auf, der Monarch, oder einfach: Der Mont Blanc. Imposant, wie sich der Bergriese aus dem Tal ohne Vorberge bis zu seiner Höhe von 4808m erhebt. Der höchste Gipfel der Alpen. Gekrönt mit einer weissen Haube, sendet er seine Gletscher bis fast ins Tal. Da Chamonix wie immer etwas überlaufen ist, suchen wir uns eine Wiese gegenüber des Mont Blanc und geniessen den wolkenlosen Himmel. Hätten wir jetzt etwas mehr Zeit, wäre eine Fahrt auf die Aig. Midi, ins Mère de Glace oder den Brevent eine reizvolle Möglichkeit dem Mont-Blanc-Massiv näher zu kommen.

Die Aig. du Dru

Der 'Weisse Berg' vor Chamonix....

....weit schiebt der Mont Blanc seine Gletscher vor
Doch wir verzichten heute mal auf eine Bergfahrt und suchen uns talabwärts ein Bistro, trinken noch einen Kaffee und fahren dann weiter in dichtem Verkehr auf der vierspurigen Strasse Richtung Sallanches. Hier biegen wir bei St. Gervais links ab Richtung Megève. Endlich, dem Verkehr entronnen, wird es wieder ruhiger. Etliche Kehren später erreichen wir ein Hochplateau. Hier dominieren Chalets, man sieht abgerüstete Skilifte. Rainer, der alte Flieger, wird von einigen Delta-Flieger-Kollegen magisch angezogen, sodass wir in Megève am Landeplatz eine Zwangsrast einlegen. Ein Wanderzirkus hat hier ebenfalls seine Zelte aufgeschlagen, so bekomme auch ich etwas Interessantes zu gucken. Endlich fahren wir weiter, in Nôtre Dame de Bellecombe biegen wir links ab auf den Col de Saisies, dessen Passhöhe wir nach einigen Kurven in waldigem Gelände auf 1650m erreichen. In schönen Kehren geht es hinab nach Beaufort. Die Landschaft hat weitläufigen Charakter, in der Ferne, gen Norden, sehen wir den Mont Blanc, um den wir nun fast herum gefahren sind.
Die gewaltige Brenva-Flanke sieht auch aus der Distanz Respekt einflössend aus. Hinter dem kleinen Weiler Beaufort geht es über eine kurvige, enge Strasse hinauf zum Col de Meraillet. Unterhalb der Passhöhe steht eine senkrechte Felswand, über die sich ein Wasserfall stürzt. Zu Füssen der Wand liegt ein Stausee, der Lac de Treicol, dessen tiefblaue Wasser -offensichtlich eiskalt- einige Unentwegte zum Baden eingeladen haben.

Der Mont-Blanc von Süden

Am Col des Saisies
Die Abfahrt über den Cormet de Roselend wird schon von teilweise fehlender Sonne 'beschattet'. Die Strasse hat einige Löcher und beinahe wäre mir Rollsplit in einer weiten Kurve, die ich zugegeben etwas schnell angefahren hatte, zum Verhängnis geworden. Der Kollege sieht die Schlingerei -Gott sei Dank- und kann seinen Fahrstil rechtzeitig anpassen. Die Abfahrt in wilder Steinlandschaft führt durch eine enge Schlucht in engen Serpentinen weiter bis ins Tal. Gegen Abend erreichen wir Bourg-St.-Maurice und schliesslich Seez, das am Aufstieg zu zwei berühmten Alpenpässen liegt: Kleiner St. Bernhard aus dem Aostatal und der Col de l'Iseran treffen hier aufeinander.

Der Lac de Treicol am Roselend

Direkt an der Abzweigung zum Kleinen Sankt Bernhard finden wir ein preiswertes Hotel, in dem uns savoyer Spezialitäten serviert werden, wobei uns der regionale Tomme de Savoie, ein butterweicher, intensivschmeckender Käse, besonders schmeckte. Der hiesige Wein überzeugt uns allerdings nicht sehr. Das soll sich im Lauf der Tour allerdings noch gewaltig ändern, kein Wunder in Frankreich!





Dieses Schild begleitet uns von nun an

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