Dritter Tag    Seez (Haute Savoie) - Vars (Dauphine), 235km

Heute herrscht wieder strahlendes Wetter. Wir frühstücken gemütlich und freuen uns des Daseins, denn die Strecke, die vor uns liegt, ist vom Allerfeinsten.

Blick über Seez nach Bourg St. Maurice

Von Seez fahren wir Richtung Val d'Isere. Hinauf geht es zuerst auf gut ausgebauter Strasse mit mässiger Steigung, Kehren sind anfänglich etwas rar, werden aber mehr. Hinter dem Örtchen St. Foy wird die Strasse schmäler. An der Barrage de Tignes, am Lac de Chevril, der ca. 11 Qkm umfasst, machen wir einen kurzen Halt. Hier zeigt sich die Praxis der französischen Alpennutzung: Konzentriert und furchtbar. Es gibt in Frankreich viele Flecke, wo man ungestört ist in den Alpen, dort aber, wo die Tourismusindustrie haust, ist wirklich scheusslich hingeklotzt worden. Ebenso zeigt sich Val d'Isere, das wir nach einigen Tunnels (unbeleuchtet) und Kurven auf 1930m erreichen, als ein reiner Touristenort. Also fahren wir lediglich durch und konzentrieren uns auf den grandiosen Pass, der vor uns liegt: Der Col de l'Iseran. Nach wenigen Kehren sind ein paar Fahrradfahrer überholt, von denen es hier nur so zu wimmeln scheint. Ach ja, es war schliesslich die diesjährige Tour de France erst kürzlich hier durchgefahren, wahrscheinlich ist das Fahrradfieber hierdurch begründet. Hinter Val d'Isere liegt der schönste Streckenabschnitt auf dem Weg zum Iseran, kurvenreich ist er zudem.


Der Lac du Chevril bei Tignes

Auf dem Col de l'Iseran
Noch wenige Kehren und wir stehen oben auf dem Iseran, auf 2764m. Sie ist ganz schön dünne, die Luft hier hoch droben, aber meine XJ macht wie gewohnt keine Mucken, sondern schnurrt ohne zu stottern. Vom Pass hat man eine grandiose Aussicht: Mitten im Vanoise-Nationalpark gelegen, erkennt man im Süden das Vanoise-Massiv und die Albaron-Gruppe mit ihren vergletscherten Flanken, sonst imponiert eine sehr karge Hochgebirgslandschaft. Wir machen unser rituelles Foto vor dem Passschild und weiter geht es nun abwärts Richtung Lanslebourg.

Eine karge Hochgebirgslandschaft

Abfahrt vom Iseran Richtung Süden, die Albaron-Gruppe

Unspektakulär, der Télégraphe
Wir zweigen aber bereits in St. Michel de Maurienne nach Süden aus dem Arctal ab zum Col du Télégraphe, dem 'Vorberg' des Galibier. Durch einen duftenden Bergwald geht es ohne Verkehr bis auf 1566m, wo wir im strahlenden Sonnenschein beschliessen in einem einladenden Restaurant an der Passhöhe Mittagsrast zu machen und trotz der 'Vache folle' ein Rindersteak zu verdrücken. Nach der Abfahrt vom Télégraphe erreichen wir Valloire im Valloirettetal und nach einer längeren, wenig anspruchsvollen und kurvenarmen Strecke endlich den Anstieg zum Galibier. Wie es sich für einen der höchsten Pässe der Alpen gebührt, wird hinter den Hütten von Plan-Lachat die Strasse mit engen Kehren zunehmend hochalpin. Ich fühle mich etwas an eine Mondlandschaft erinnert, je höher wir kommen. Die Strasse ist in schlechtem Zustand und kahle Berghänge dominieren die Szene. Unterhalb der Passhöhe sind noch einige Kurven zu nehmen, dann erreichen wir den Pass auf 2645m. Unter uns liegt Richtung Südosten das Vallée de la Guisane, das nach Briançon, der höchsten Stadt Europas führt. Der Blick geht weit ins Tal. Die Pelvoux-Gruppe mit ihren schnee- und eisbedeckten Nadeln ist ein besonderer Augenschmaus.

Die Auffahrt auf den Galibier gleicht einer Mondlandschaft

Eine richtig kahle Steinwüste

Sepentinen unterhalb der Passhöhe

V.d.l. Guisane, irgendwo dort unten liegt Briancon

Blick nach Süden auf die Pelvoux-Gruppe
Nach kurvenreicher Abfahrt trifft die Strasse ca. 9km später auf den Col du Lautaret, der ins besagte Vallée de la Guisane führt. Ein Kuriosum, denn der Scheitelpunkt des Lautaret ist gleichzeitig Endpunkt des Galibier. Wir biegen auf die besagte Strasse links ein und fahren in langgezogenen Kurven, die auch Geschwindigkeit zulassen, auf dem absteigenden Lautaret, die Route Nationale bis Briançon. Eine Stadtbesichtigung ist unbedingt zu empfehlen. Nicht nur die den Österreichern zu Napoleons Zeiten trotzende, über der Stadt liegende Festung aus der Zeit Louis XIV., ist ein Ereignis, nein, die ganze Stadt, eng an den Berg gebaut, ist wunderschön. Im Schatten einer alten Kirche, direkt neben einem alten Hauptquartier der Templer, nehmen wir nach einem Rundgang einen Espresso und stillen den Durst. Alsbald umfängt uns das französische Flair und die Gelassenheit, mit der man im Süden den Tag begeht. Wir sind beeindruckt von der ins tägliche Leben integrierten Lebenskultur, die man in Deutschland leider oft genug vermisst.

Die Festung oberhalb Briancon

Briançon: Ars vivendi

Ein ansprechendes Stadtbild
Eigentlich haben wir keine rechte Lust jetzt noch weiterzufahren, aber wir sind doch zu weit vom Tagesziel entfernt, sodass wir trotz des nahenden Abends beschliessen, noch ein paar Kilometer zu nehmen. Hinter Briançon folgen wir in südlicher Richtung der Beschilderung 'Route des Grandes Alpes' und kommen so durch eine gewaltige Schlucht über Cervières kurvenreich hinauf auf den Col d'Izoard, 2360m. Von Norden her dominieren Arvenwäldchen, nach Süden zu wird es rauher, eine vegetative Ödnis empfängt uns, einer Mondlandschaft vergleichbar.

Auf dem Col d'Izoard
Riesige Geröllhalden säumen den Weg. Ein fesselndes Bild. Im Süden, nach wenigen Metern, erwartet uns die Casse Desèrte, die 'zerhackte Wüste'. Gebilde, wie sie die Erosion in Tausenden von Jahren schafft. Quasi ein Mini-Bryce-Canyon. Unglaubliche Formationen aus Stein, von den Naturkräften geschaffen. In Windungen und Kehren fällt die Strasse wieder ab ins Guiltal und über die Combe de Queyras nach Guillèstre. Nun treibt uns die Sorge um unser Nachtquartier um, es ist schon spät und mehrere Versuche bei verschiedenen Hotels scheitern: Alles belegt. Das kann ja heiter werden, denke ich, wenn das so weitergeht, immerhin haben wir Hauptsaison. Aber es kam wie immer anders und das Problem Quartiersuche stellte sich auch auf der gesamten weiteren Tour nicht mehr. Von Guillèstre fahren wir weiter Richtung Col de Vars. Nach einer kurzen Auffahrt erreichen wir im Abendlicht den Ort Vars St. Marie, der sofort einen sehr einladenden Eindruck vermittelt. In einem kleinen Hotel im Dorfzentrum gibt es noch ausreichend Quartier, sodass wir hier unsere Zimmer beziehen können. Die Bikes werden in der angeschlossenen Garage untergestellt. Im Freien nehmen wir unter alten Bäumen einen Drink und anschliessend begeben wir uns zum Abendessen. Dank Rainers ausgezeichneter französischer Konversation schliesst uns die Bedienung ins Herz und wir erleben einen unvergesslichen Abend französischer Gastfreundschaft. Dass wir beinahe genötigt wurden, die Spezialitäten der Region inklusiver zahlreicher Eau de Vie zu probieren, war ein durchaus angenehmer Nebeneffekt. Wir hatten ohne Zweifel heute am meisten Spass auf der ganzen Tour.

In der 'zerhackten Wüste'...

...die Abfahrt des Izoard

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