Vierter Tag    Vars (Dauphine) - Allemagne-en-Provence, 193km

Wieder ein strahlender Morgen. Der gestrige Abend sitzt mir noch etwas in den Knochen. Nach einem kurzen Frühstück erklimmen wir den Col de Vars. Gottseidank sind wir im alten Dorf Vars St. Marie abgestiegen, denn oberhalb liegt das Retortendorf Vars für den Touri-Rummel, nicht auszuhalten, eine typische Betonburg mit schriller Neonwerbung, so richtig 'alpin', also fahren wir schnell durch. Vom kurz darauf folgenden Refuge Napoleon an fahren wir auf gut ausgebauter Strasse bis zur Passhöhe auf 2109m. Diese ist im Gegensatz zu den bisher befahrenen 2000-er Pässen recht grün, kurz drauf erwarten uns die 'Demoiselles Coiffées', die versteinerten Feen, von der Erosion geschaffenen Steinskulpturen, wie sie sonst nur noch im Hérémencetal im schweizer Kanton Wallis und in Südtirol anzutreffen sind. Den Feen hier fehlen allerdings die typischen Hüte, wie sie im Wallis zu sehen sind. Wir fahren weiter hinunter ins Ubayetal: Die Strasse windet sich in wenigen Serpentinen und langen Kehren ins Tal. Vor mir fährt eine Französin, dem Kennzeichen nach vermutlich aus Paris, deutlich unsicher und wacklig auf ihrem überdimensionierten Chopper. Immer wenn ich zum überholen ansetze, beschleunigt Mademoiselle und kommt in den Kurven bedrohlich nahe an die Strassenkante. Soll ich besser Abstand halten? Irgendwie fühlt sie sich von mir bedrängt. Als sie mal besonders langsam wird, gebe ich einfach Gas und überhole zügig. Rainer bleibt allerdings hinter ihr kleben und, ganz Kavalier, bleibt dort, da sie erneut bedrohlich schlingert. Ich warte derweil unten auf die beiden und ich glaube, die junge Bikerin war gottfroh, als wir uns an einer Kreuzung in einer anderen Richtung davon machen. Unser Weg führt durch Jausier über die hier gut ausgebaute Strasse weiter bis Barçelonnette.

Die Ubaye hat sich tief in den Fels gegraben

viel Trubel am Markttag in Barçelonnette
Barçelonnette, das kleine Barcelona, ist tatsächlich eine Gründung spanischer Fürsten. Es liegt im Ubaye-Tal und strahlt - Dank auch seiner Gründer- mediterranen Charme aus.

Barçelonnette Centre Ville
Heute ist Markttag. Wer Frankreich und v.a. die Provence kennt, weiss, was hier alles angeboten wird! Wir schlendern ein wenig herum und genehmigen uns auf einer hübschen Place unter schattigen Sonnenschirmen den obligaten Espresso mit einem Eau minérale. Nachdem wir unsere Rast beendet haben und die Stadt besichtigt ist, fahren wir in westliche Richtung. Hinter Barçelonnette wird es wieder rauh, das Hochgebirge hat uns wieder. Links biegen wir von der Route Nationale auf den Col d'Allos ab. Eine kleine, enge und kurvenreiche Strasse, die in den Fels gehauen ist, führt uns nach und nach auf 2247m. Auf der Passhöhe sehen wir ein Gewitter aufziehen von Süden, sodass wir nicht rasten, sondern zügig über die enge Passstrasse ins Tal fahren. Viele Kehren sind es bis zum Talgrund. Es beginnt jetzt das Tal der Verdon und nach dem Örtchen Allos folgen wir dem Flüsschen, das eine Weile unser Wegbegleiter sein wird.


Die Auffahrt zum Col d'Allos...


..eine in den Fels gehauene Strasse
Nach wenigen Kilometern erreichen wir Colmars-en-Provence, ein wunderschönes, verschlafenes provençalisches Nest. Hier speisen wir im Touristenlokal (das Essen war danach) an der wenig befahrenen Durchgangsstrasse zu Mittag und es beginnt doch tatsächlich zu regnen, allerdings nur wenige Tropfen, sodass ein Umsteigen in den Regenkombi nicht nötig wird.

Das provenzalische Colmars...

...ein verschlafenes Dorf

Der Lac de Castillon, türkisfarbene Wasser
Hinter Colmars klart es auch schon wieder auf, es wird langsam wieder unerträglich heiss. Wir fahren die Verdon hinunter und erreichen hinter St- André den Lac de Castillon, einen gewaltigen Aufstau der Verdon. Etwas beneiden wir die Badenden und Wassersporttreibenden schon, aber im Fahrtwind die Kurven abwärts zu reiten ist uns dann doch lieber. Am Kopfende des Sees steht eine Rundbogenmauer, über die die Strasse verläuft. Hier kann man flussabwärts der Verdon eine Ahnung der kommenden grossen Schlucht bekommen. Die Strasse verlässt den Fluss nun für eine kurze Zeit und wir kommen nach Castellane. Durch Castelllane fahren wir zügig durch, da es recht voll ist, das Stätdchen platzt vor lauter Touristen und Verkehr aus allen Nähten. Uns zieht es zu dem absoluten Höhepunkt des Tages: In den Grand Canyon du Verdon.

Am Eingang zur Verdonschlucht
Nach der Ausfahrt aus Castellane befindet sich vor uns eine unendliche Schlange aus Bikes, Autos und Fahrrädern, sodass wir bei Pont de Soleil links abbiegen und die Karawane, die zielstrebig im Stau das Nordufer des Canyon anstrebt, weiterziehen lassen. Auf der Südseite ist es deutlich ruhiger, es herrscht nur vereinzelt Verkehr. Bei Trigance nehmen wir die Abkürzung, biegen rechts ab und stehen kurze Zeit und wenige Kilometer später vor einem atemberaubenden, unglaublichen Naturschauspiel: Der Grand-Canyon du Verdon. Eine bis zu 700m tiefe Schlucht, die in der Tiefe von der Verdon durchflossen wird. Kaum zu glauben, was Wasser alles leisten kann! Lange sitzen wir in der abendlichen Sonne an den Balcons des Mescla an der Kante der Schlucht und sinnieren vor uns hin. Der Bach führt jetzt im Hochsommer kaum Wasser, soll aber bei Schmelz- und Hochwasser reissend die Schlucht durchtoben. Kaum vorzustellen heute. Anschliessend folgen wir der südlichen Kantenstrasse, fahren über eine gewaltige Brücke und erreichen nach unendlich schönen Kilometern in mässigem Verkehr den Ausgang der Schlucht bei Moustiers Ste. Marie.

An den Balcons de la Mescla

Die bis 700m tiefe Schlucht

Ausgang der Schlucht, im Hintergrund der Lac de Ste. Croix

Moustiers-Ste.-Marie am Schluchtausgang gelegen
Dieses wunderschön an den Felshang gebaute provençalische Dorf platzt allerdings in der Hochsaison aus allen Nähten, sofort stecken wir mitten im dicksten Stau und beschliessen umgehend in nordwestlicher Richtung nach Riez weiterfahren. Nach wenigen Kilometern umfängt uns wieder die Stille, wie sie für Regionen abseits touristischer Zentren typisch ist. Durch welliges Gelände fahren wir entlang kleiner Bäche, durch Wiesen und kleine Wäldchen. Es duftet herrlich jetzt am Ende des Tages. Unterwegs werden wir von T-Shirt- und Jeans bekleideten Jünglingen auf knatternden Eintöpfen halsbrecherisch in Kurven überholt. Sie scheinen die Strasse gut zu kennen, wir nicht, daher hält sich die Schmach für uns durchaus in Grenzen. Zu grüssen vergessen sie ebenfalls nicht, mit herausgestrecktem Bein erfolgt der französische Bikergruss, den wir erwidern. Nach einigen Kilometern erreichen wir Allemagne-en-Provence, wo sich auch sofort ein Quartier in einem Logis de France Hotel findet. Etwas teuer für die einfachen Zimmer, finde ich allerdings. Das Abendessen auf der Terrasse in den letzten Sonnenstrahlen auf einer schönen Terrasse ist sehr gut und entschädigt für den Zimmerpreis. Wir geniessen die Landschaft bei mehreren Côtes du Rhône und Marc de Provence. Der Name Allemagne-en-Provence übrigens hat, wie man uns mitteilt, nichts mit Deutschland oder den Alemannen zu tun, sondern geht auf eine Sage mit Feen und einem unglücklichen König zurück, zugegeben, so recht verstanden habe ich es nicht.

 

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