Erster Tag Stuttgart - Ernen (Goms), 418km
Am 30.7.2000 ist es endlich soweit.
Ich komme aus dem Nachtdienst und habe zwei Wochen frei. Mit meinem guten Freund
Rainer auf seiner neuen Transalp wollen wir dieses Jahr durch die Westalpen ans
Mittelmeer. Zudem sind wir in der Provence eingeladen, was uns sehr recht ist,
da wir beide grosse Frankreichliebhaber sind. Rainer spricht nebenbei perfekt
französisch, was mich bezüglich Quartiersuche in der Hochsaison einigermassen
beruhigt. In Stuttgart herrscht allerdings Dauerregen. Wir kehren an der Autobahnraststätte ein, um uns aufzuwärmen und hören mit einiger Skepsis, dass das Wetter besser werden soll. Zu oft lagen die Herrschaften vom Wetterdienst mit ihren Prognosen daneben in den letztem Wochen, wie der ganze Sommer bisher mehr als mies war. |
Der Vierwaldstättersee | Auf gen Süden! Nach Dauerregen auf der Autobahn A81 klart das Wetter kurz vor dem Bodensee langsam auf, trocken ist es noch nicht, der Regen lässt aber nach. Hinter Schaffhausen, wo wir den völlig überlaufenen Rheinfall kurz besichtigt haben, bleibt es dann trocken, nach Zürich, genauer am Zuger See kommt dann die Sonne und es wird warm. Wir setzen uns ans Wasser und essen erstmal etwas, anschliessend folgt ein kleiner Spaziergang durch Zug, das angeblich als Steueroase die höchste Milliardärsdichte Europas aufweisen soll. Ganz hübsch ist es ja, aber von Extravaganz spürt man eher wenig. Typisch Schweizer Understatement. Wir fahren weiter direkt am See entlang Richtung Süden, über Arth an der Hohlen Gasse vorbei nach Küssnacht am Vierwaldstättersee. Hier ist die Urschweiz, hier trieben Gessler und Tell der Legende nach ihr Unwesen. In der Schweiz sieht man es wohl eher als geschichtliche Tatsache und vermarkten tut man es ebenso gehörig. |
Wir sind hier im Herzen der Urschweiz. Vor etwa 600 Jahren wurde die erste Demokratie der Welt, die bis heute Bestand hat, von den Urkantonen gegründet. Deswegen schlägt das Schweizerherz rund um den Vierwaldstättersee besonders heftig, man sieht ein Fahnenmeer des weissen Balkenkreuzes auf rotem Grund. Die Region steht stellvertretend für das Inseldasein des Landes in der EU, man hat bei den Abstimmungen den höchsten Anteil an EU-Gegenern. Wehe dem Ausländer, der an diesen Grundfesten des Schweizerdaseins rüttelt... Sei's drum, wir fahren weiter über die kurvige Uferstrasse entlang nach Weggis, Vitznau, Gersau bis Brunnen. Ein absolut empfehlenswertes Stück Strasse. Man hat teilweise einen grossartigen Blick auf See und Berge, für Enthusiasten der Rundsicht und Bergbahnen sei angemerkt, dass in Vitznau die Rigi-Bahn ihren Ausgangspunkt hat, auf den wohl bekanntesten Aussichtsberg der Eidgenossen. Manchmal fährt man sogar mit Dampf. Unser nächster Halt ist in Brunnen, hier nehmen wir noch ein Eis im von Süden her wehenden Wind vom Gotthard herab, es ist richtig warm geworden, kein Vergleich zum Beginn des Tages im verregneten Stuttgart. Direkt gegenüber unserem Café ist der Anlegepunkt der weissen Flotte. Wir beobachten das Anlegemanöver der 'Friedrich Schiller', einem betagten, gut restaurierten Schaufelraddampfer aus der guten alten Zeit. Eine weitere Besonderheit des Landes ist seine grosse Weisse Flotte, die gehegt und gepflegt wird. Wer mehr darüber erfahren will, kann einen Besuch des Verkehrsmuseums in Luzern unternehmen. |
Die 'Friedrich Schiller' | Leider haben wir keine Zeit für einen Trip auf dem See, denn unser Tagesziel liegt jenseits des Gotthardmassivs. Also brechen wir auf, fahren entlang der orografisch linken Seite des Vierwaldstättersees auf der Axenstrasse im Lkw-Verkehr auf autobahnähnlich ausgebauter Route durch viele Tunnels und Galerien bis Flüelen und Altdorf, wo man Tell, der hier geboren sein soll, ein Denkmal mit Museum gestiftet hat. Uns zieht es weiter in die Alpen hinein und so führt uns der Weg mit vielen Kurven und geringer Steigung parallel zur Autobahn und Gotthard-Zuglinie ins Reusstal, vorbei am Abzweig des Klausenpasses über Amsteg, Wassen, der Auffahrt zum Sustenpass, nach Göschenen und schliesslich nach steilem Anstieg über Serpentinen nach Andermatt, dem Treffpunkt der grossen Alpenpässe Gotthard, Furka und Oberalp. An Hospental vorbei fahren wir rechts Richtung Realp und Furkapass. Hier auf der Strecke, die schon Sean Connery alias 007 mit seinem Aston Martin in 'Goldfinger' befahren hat, sollen sich neuerdings vermehrt Radarfallen befinden, die neuerdings aufgrund rasender Biker (und zwecks Aufbesserung der Gemeindekassen) installiert werden. |
Ein zugegebenermassen neues Bild in den Schweizer Alpen. Und teilweise auch begründet, leider. Hinter Realp, wo der Autoverlad Furka-Basistunnel abzweigt, beginnt nun der steile, kehrenreiche Aufstieg zum Furkapass, der auf der Seite des Kanton Uri schmal und teilweise unbefestigt ist. Im Rückblick haben wir einen grossartigen Ausblick auf das Urserental bis hinunter nach Andermatt. Auf etwa halber Höhe erreichen wir den Weiler Tiefenbach. Wir fahren diesmal durch, aber als Tipp kann man sagen, dass es sich hier gut und für schweizer Verhältnisse preiswert speisen lässt. Nach einer langgezogenen Hangtraverse und etlichen Serpentinen, in denen man tunlichst auf das eventuell frei herumlaufende Rindvieh aufpassen sollte, kommt die Passhöhe (2431m) in Sicht. Unspektakulär könnte man meinen, aber..... nach wenigen hundert Metern eröffnet sich ein gigantisches Panorama. Die Berner und Walliser Alpen! |
Noch wenige Meter hinunter und wir
stehen vor dem Rhônegletscher, dem Ursprung der Rhône, die hier Rotten
heisst. Für Touristen hat man kostenpflichtig eine Grotte ins Eis gehauen,
die mit einem Disney-Eisbären zum Fototermin ausstaffiert wurde. Überlaufen,
aber ganz nett. Ansonsten schmilzt der Rhônegletscher, wie alle Alpengletscher,
so vor sich hin; vergleicht man seine Grösse mit der vor etwa zehn Jahren,
kann man den kontinuierlichen Rückgang der Eismassen deutlich verfolgen.
Ein Jammer, wenn das so weitergeht. Aber vielleicht sind alle Voraussagen der
Experten doch nicht so zutreffend in ihrer Dramatik und der Gletscher wächst
eines Tages wieder, hoffen wir's. Hinunter ins Wallis geht es auf breiter, sehr gut ausgebauter Strasse über die Schienen der Museumsbahn Dampfbahn-Furka-Bergstrecke nach Gletsch, einem Hotel mit Bahnhof. Hier treffen die Furka- und Grimselpassstrasse zusammen. Wir haben Glück und sehen ein Dampfross der restaurierten Dampfbahn Furka-Bergstrecke beim Rangieren. Die letzte Etappe unseres ersten Tages führt hinein ins obere Rhônetal über Oberwald, das nach einigen Kurven entlang der schäumenden jungen Rhône erreicht ist und dem Obergoms mit seinen hübschen, ursprünglichen Dörfern wie z.B. Münster, bis Fiesch und Ernen, wo unser Nachtlager wartet. Nach einem üppigen Mahl mit von Freunden selbstgesammelten frischen Waldpilzen und gutem Rotwein der Region, dem Dôle, fallen wir erschöpft in die Koje. | Ein fröhlicher Transalpist am Furka |