Vierter Tag:

Breslau - Brzeg - Oppeln

Streckenlänge

Fahrzeit
Landschaft
Architektur / Kultur
171 Km
12 - 18 Uhr

Wieder ein strahlender Morgen. Nach einem kurzen Frühstück beginnen wir unseren Rundgang durch Breslau, nachdem wir die Motorradkleidung im Hotel lassen konnten. Es ist am frühen Morgen schon recht heiss und da ist zivile Kleidung ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Zuerst nehmen wir uns die Dominsel vor, über die Sandinsel gelangen wir dorthin. Mehr als 80 Brücken verbinden in Breslau die Ufer der Oder mit den zahlreichen Inseln. Einer jungen Violinistin auf der gusseisernen Dombrücke, über die man auf die Insel kommt, spende ich grosszügig mein verbliebenes Münzgeld, das nur unnütz Raum im Geldbeutel beansprucht, der für Anderes gebraucht wird. Sie spielt in der Hitze technisch sauber und sehr schön, sicher eine Studentin denke ich, die das Geld dringender braucht, als ich. Ohnehin schleppe ich kaum Zloty mit mir herum Im Gegensatz zu unserer letzten Reise kann man fast überall mit Karte zahlen, was einen evtl. Geldverlust in Grenzen hält, da man nie mehr als nötig mit sich herumschleppt.
Heute Morgen hat mein Handy-Akku das Zeitliche gesegnet, ausgerechnet. In einem Shop für Mobiltelefone erstehe ich einen Neuen für ein paar Euro. Der Preis hält, was er verspricht, der Akku ist unbrauchbar. Nun dürfen wir uns nicht mehr verlieren. Da Rainer ohnehin ohne Karten unterwegs ist, wird er brav an meinem Hinterrad hängen. Hoffe ich wenigstens. Wir besichtigen die Kathedrale von Breslau und fahren für ein paar Zloty hinauf auf den Turm. Eine herrliche Aussicht über die ganze Stadt bietet sich von hier oben. Auf 72m sind wir hier, nicht schlecht. Die Kirche selbst ist innen sehr dunkel und erst nach einer gewissen Gewöhnungszeit kann man die Fresken und andere Kunstwerke betrachten. Zurück nehmen wir den Weg am Nationalmuseum vorbei, das früher die preussische Provinzregierung beherbergte. Der Zugang zur Universität mit der berühmten Aula Leopoldina ist leider verschlossen, so gehen wir zurück zum Rynek und besichtigen die Altstadt.

Die Dominsel mit Ägidienkirche und Kathedrale


Erneut in der Altstadt

Das Rathaus, die 'Perle schlesischer Gotik', an der 200 Jahre gebaut wurde, beeindruckt mit seiner astronomischen Uhr ebenso, wie die umstehenden Gebäude. Museen finden sich hier, z.B. das Museum für Medaillenkunst, die Bibliothek, alte Hotels und der alte Pranger. An den wurde z.B. der berühmte Bildhauer Veit Stoss gebunden, als er es wagte, mit fünf Jungfrauen gleichzeitig ein Techtelmechtel zu veranstalten. Aber auch geköpft wurden einige Delinquenten hier. Weiterhin stehen prachtvolle Bürgerhäuser, die z.B. von jüdischen Bankiers bewohnt waren in der beeindruckenden Runde. Etwas abseits des Hauptplatzes liegt ein kleinerer Platz, der ehemalige Salzmarkt, heute ein Blumenmarkt, dessen Name die frühere Bedeutung des weissen Goldes für die Stadt anzeigt, das tonnenweise umgesetzt wurde. Am Salzmarkt findet sich auch die alte Börse und das Oppenheim-Haus, in dem sich die Bankiers der Stadt regelmässig trafen.

Hänsel und Gretel
Langsam wird es Mittag und langsam sollten wir auch weiter, obwohl es schwerfällt. Wir trinken noch etwas und verlassen den Platz an Hänsel und Gretel vorbei. So heissen die windschief an die Elisabethkirche angebauten Häuschen, die durch einen Torbogen miteinander verbunden und heute ein Lokal und eine Kupferstecherei enthalten.
Wir finden den Weg zum Hotel in drückender Mittagshitze zurück, wo wir in die aufbewahrten Bikerklamotten steigen und bereits schweissgebadet auf den Motorrädern sitzen. Ein langer Blick zurück und wir sind in den Vorstädten, die hier wie anderswo nicht viel hermachen, auf dem Weg in den Südosten dem Flusslauf der Oder folgend, die uns in einiger Entfernung begleitet.
In Olawa, dt. Ohlau, das von Breslau über die 94 erreicht wird, wollen wir zu Mittag essen. Der Weg dorthin verläuft schnurgerade auf einer breiten Strasse, ringsum Felder und Wiesen. Nach 28 Km bereits erreichen wir den Ort. Als wir in die nichtssagende Kleinstadt hineinkommen, beschliessen wir dann doch weiterzufahren, da wenig Einladendes zum Bleiben animiert. Also auf nach Brzeg, dt. Brieg. Nochmals 18 Kilometer über die lange Gerade im flachen Land dann erreichen wir auch diese Örtlichkeit. Wir sind nun im Oppelner Land, einer Region Schlesiens. In Brzeg findet sich schnell ein äusserlich nett aussehendes Freiluftrestaurant, dessen Bedienung allerdings Geschwindigkeitsprobleme hat und nach ewigem Warten gerade mal die Getränke serviert. Wir verzichten daher auf die Essensbestellung und fahren, nachdem wir das Geld für die Rechnung auf dem Tisch deponiert hatten - denn bis morgen zu warten haben wir keine Zeit - weiter nach Oppeln (Opole).
Erneut 20 Kilometer geradeaus. Dann präsentiert sich Oppeln als ein schönes kleines Städtchen, das einen lebendigen und beschaulichen Marktplatz mit Restaurants zum Draussensitzen bereithält. Wir lassen uns nicht lange bitten und wollen etwas verspätet unser Mittagessen einnehmen, schlesisch deftig und reichlich. Wieder Kraut dabei in mehreren Variationen, wieder sehr gut. Die Preise waren in Breslau schon günstig, hier aber ist es geradezu billig. Als wir gerade mit dem Essen beginnen, kommt eine ältere Dame ums Eck gebogen, verharrt kurze Zeit wohl etwas verwundert über unsere Kleidung und tritt an unseren Tisch mit der Frage heran, woher wir kämen und wer wir seien. Wahrscheinlich hat sie das gefragt, ich habe es nicht verstanden, denn es war auf polnisch. Als sie unsere fragenden Gesichter sieht, versucht sie es auf deutsch und siehe da, wir antworten brav. Sie setzt sich zu uns und beginnt sogleich ihre Lebensgeschichte als Deutsche in dieser Region zu erzählen.

Oppeln Marktplatz

Die Franziskanerkirche
Es ist mehr eine Leidensgeschichte. Ihre Kinder sind alle bereits nach Deutschland ausgewandert und sie kommt mit den Verhältnissen, die der Krieg den Menschen hier auferlegt hat, nicht zurecht. So beklagt sie denn ihre schmale Rente (davon kann man auch in Polen kaum leben), ihre Situation als Angehörige einer heutigen Minderheit, die früher hier die Herren waren - und wir essen nebenbei. Auf mich wirkt das alles sehr fremdartig, die Schilderung der Erfahrungen, die die Deutschen nach den Weltkriegen an den Schnittstellen der Kulturen machen mussten. Vertreibung, Enteignung und Unterdrückung sind die Stichworte zu diesem Kapitel der deutsch-polnischen Geschichte. Wobei vice versa auch die Deutschen ihren gehörigen Anteil am polnischen Verhalten nach 1945 gehabt haben. Trotzdem soll das nicht das individuelle Leid schmälern und ich fühle mit der alten Dame. Rainer spendiert ihr noch ein Bier und einen Beitrag zu einer Fahrkarte nach Deutschland, wo sie ihren Sohn besuchen will. Sie gibt uns noch eine Einladung für nächstes Jahr und Hoteltipps mit auf den Weg. Da unsere Unterkunft für heute noch nicht feststeht, können wir jeden Tipp gebrauchen.
Zunächst fahren wir noch etwas durchs Oppelner Land, genauer nach Norden über die 45 zum See bei Turawa. Hier wird ein Zufluss der Oder, die übrigens auch durch Oppeln fliesst und der Stadt mit ihren Kanälen den Beinamen 'Schlesisches Venedig' eingebracht hat, zu einem grossen Stausee aufgestaut mit Möglichkeiten zu Wassersport aller Art. Den wollen wir uns ansehen.

Strässchen im Oppelner Land

Der Turawa-Stausee
Im Oppelner Land wohnen vergleichsweise viele Deutsche, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht vertrieben wurden, heute v.a. in der Landwirtschaft arbeiten und Bauernhöfe bewirtschaften. Die Region ist die Kornkammer Polens, trotzdem dominieren Viehhaltung und Milchwirtschaft. Wie wir erfahren, bekommen die Bauern noch gerade 20 Cents für einen Liter Milch, während der Liter Diesel bereits 60 Cents kostet. Mehr und mehr Bauern geben auf und die Jugend zieht ohnehin weg, sobald sich eine Gelegenheit dafür bietet. Allerdings ist man im Oppelner Land noch weit vom Elend der Oberschlesischen Grubenlandschaft entfernt, die bereits eine Arbeitslosenrate von etwa 50% hat. Wer Arbeit hat, bezieht dort einen monatlichen Durchschnittslohn von gerademal 250.- Euro, das ist für einen Grubenarbeiter mit Familie erkennbar zu wenig, um menschenwürdig zu leben. Wie sagte uns ein Pole treffend: 'Die Region hat ihr Lächeln verloren und wir erleben nun unsere schlesische Tragödie, wie ihr Deutschen die eure erlebt habt...'


Wiesen und Felder

Die Gegend ist flach und doch schön. Ein kleines und kurviges Alleensträsschen führt uns um den See und als wir eine der wenigen Gelegenheiten erblicken, die einen Zugang zum Wasser erlauben, biegt ein Pärchen aus Hannover mit ihren Bikes an der gleichen Stelle ein. Sie erzählen von ihrer Fahrt durchs Glatzer Land, das wir ausgelassen hatten - sie waren dafür nicht in Breslau - und ich denke anhand ihrer Schilderungen sollte man in dieses Gebirge auch mal fahren, sie klingen zumindest begeistert. Die Zwei wollen campen und finden tatsächlich hier in unmittelbarer Nähe einen der wenigen Campingplätze. Der Geruch des Sees, eine Mischung aus Petrochemie und Waschmittel, wirkt nicht sehr einladend zum Strandliegen oder Baden, sodass es uns zur Weiterfahrt drängt. Ein kurzer Abschied, dann kurven wir weiter um den See und suchen die Gegend ab, finden aber keine Unterkunftsmöglichkeit.
Der Tourismus spielt in dieser Region eine untergeordnete Rolle und Unterkünfte sind rar. Daher beschliessen wir, wieder nach Oppeln zurückfahren und dort nach einer netten Pension zu suchen. Es ist bereits Abend geworden und viel Zeit haben wir nicht mehr. Eine kleine Strasse bringt uns durch dichten Wald zur Hauptstrasse und nach etwa 20 Kilometern sind wir erneut in Oppeln. Das angepeilte Hotel finde ich etwas zu teuer und erinnere mich an ein Motel, das wir bei der Stadteinfahrt passiert hatten. Dort wollen wir's versuchen. Die Stadteinfahrt liegt etwas weiter draussen, als es meiner Erinnerung nach war, aber nach einigen Kilometern und mitten im Grünen finden wir die Herberge, die an ein Sportzentrum angeschlossen ist und sich teilweise noch im Bau befindet. Die Zimmer sind modern, sauber und günstig, was will man mehr? Wir sitzen alsbald draussen und essen wieder einmal schlesische (Kraut-) Küche, sogar einen guten importierten Rotwein bekommen wir dazu.

Modern und günstig: Unser Motel
In der Ferne ballen sich im Dämmerlicht hohe Wolken zusammen. Als es Nacht wird, sieht man Blitze zucken, der Donner zeigt aber noch eine gewisse Entfernung des Unwetters an und so sitzen wir auf der Terrasse und geniessen das Schauspiel. Plötzlich kommen böige Winde aus unterschiedlichen Richtungen auf, ein sicheres Zeichen, dass das Gewitter da ist. Bald tropft auch schwerer Regen auf den Schirm, der sich über unserem Tisch aufgespannt befindet. Dann rauscht es herab, Blitze zucken und es kracht ordentlich. Wir fühlen uns eigentlich sehr sicher während wir das Spektakel betrachten. Als ich gerade einen Schluck aus dem Weinglas nehme, wird es taghell, gleichzeitig höre ich ein lautes Zischen und Millisekunden später kracht es erbärmlich. Ich bin zu Tode erschrocken: Ein Blitz ist unmittelbar neben unserer Terrasse eingeschlagen. Bevor wir uns so recht erholt haben, kracht es wieder in direkter Nähe. Nun ist schluss mit lustig. Hastig krame ich meine Utensilien zusammen und renne zum Haus, meinem nicht minder erschrockenen und flüchtigen Kompagnon hintendrein. Das Gewitter ist jetzt genau über uns. Es blitzt und kracht unaufhörlich. Zu guter Letzt ist auch der Strom weg.
Zeit zu Bett zu gehen. Klopfenden Herzens und in völliger Dunkelheit krieche ich unter die Decke. Kurze Zeit später beruhigt sich das Wetter und nachdem auch der Strom wieder da ist, kann ich schliesslich einschlafen. Da hatten wir doch richtiges Glück gehabt!


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