Prag - Rip - Mimon
- Liberec - Jablonnec - Vrchlabi - Spindleruv Mlýn
253Km
/ reine Fahrzeit 5:15 Std.
Das Wetter verspricht wieder einen sonnigen Tag. Wieder 'frihsticken wir im Fraien bittäh', packen die Bikes und verlassen Prag in nördlicher Richtung. Zuerst führt uns ein kurzes Stück Autobahn (E55) aus Prag-Brezineves hinaus. Bei Nova Ves verlassen wir die Autobahn bereits wieder. Kaum lässt man die Städte hinter sich, ist man auf dem Land, ja in der tiefsten Provinz, nur Ruhe und Beschaulichkeit umher. Das ist eine Besonderheit dieses Landes. Kleine kurvige Landstrassen führen uns durch Orte wie Spomysl, Jevineves oder Cernoucek. Am Berg Rip (sprich Rschib) kommen wir vorbei. Hier soll der Urahne der Tschechen, er hiess gleichwohl Tschech, sein Volk in Vorzeiten angesiedelt haben. Der Bruder von Tschech, Lech, zog weiter nach Norden und gründete um Gnesen herum das Urpolen. Der Rip selbst ist ein recht flacher und bewaldeter Hügel, kein Schild, das irgendwo an die Bedeutung der Örtlichkeit erinnert. Im tschechischen historischen Bewusstsein ist das allerdings kein herkömmlicher Berg, sondern die Anhöhe, von der aus vor Hunderten Jahren der Urvater seinem Volk der Sage nach verkündete: "Hier bleiben wir". Und seitdem gibt es Ärger mit den Germanen/Deutschen. Bis heute, bedenkt man die Zänkereien um die sog. Benesch-Dekrete, die bekanntermassen das tschechisch-deutsche Verhältnis arg beschädigt haben. |
Das verschlafene Dorf Cernoucek |
Russender Russe |
Wir kommen bei Roudnice nad Labem wieder
an die Elbe und überqueren sie hinter einem fürchterlich russenden und
stinkenden alten Russen-Lkw. Ich muss deutlichen Abstand zu dem qualmenden Gefährt
halten, sonst ersticke ich noch, der fährt zudem Schrittgeschwindikeit. Wahrscheinlich
Getriebeschaden und er kann nur im ersten Gang fahren, denn die Strasse ist eben
und der Laster leer. Aber bald ist auch das überstanden und wir folgen nun
der breiten 261 bis Melnik, dem historischen Zentrum der Region, wo die Moldau
in die Elbe mündet. Wir bleiben nur ein paar Kilometer auf dieser breiten
Strasse, dann wird links abgebogen wieder auf kleine Landstrassen, die ins Kokorinsko,
einen Naturpark führen. In Kokorin, von dem die Gegend ihren Namen hat, steht
eine alte Burg, recht hübsch anzusehen. In einem Dorf sehen wir einen tschechischen
Heiligen auf seinem Sockel stehen. Was uns der sagen soll, kann ich nicht herauskriegen. |
Im Kokorinsko-Naturpark | Die typischen Holzhäuser |
Das Strässchen ist kurvig und führt durch die kleinen Dörfer sowie die weiten Felder des Elbtales und später mit reichlich Kurven durch dichten, naturbelassenen Wald. Sandsteinfelsen bilden streckenweise eine fast alpine Kulisse an der Strasse, wir passieren einige wunderschön gelegene kleine Waldseen. Hier kann man auch die für die Region typischen gestreiften Holzhäuser sehen, die z.T. sehr nett herausgeputzt sind. Ausser uns scheint niemand unterwegs zu sein und wir geniessen die Fahrt richtig. Über Duba verlassen wir den Nationalpark wieder und erreichen den Ort Doksy am Südende des grösseren Macha-Sees gelegen, das im Sommer als Ibiza Tschechiens viel Party-Tourismus und Halli-galli bietet, allerdings wirkt die Infrastruktur heute noch recht verlassen. Von Doksy geht es über eine gut ausgebaute Landstrasse in weiten Kehren durch Wald und Felder über Hradcany bis Mimon. Rechts der Strasse blickt man auf eine imposante Burg, die auf einem steil aufragenden Berg, der sich unmittelbar aus der Ebene erhebt, errichtet ist. Ein idealer Platz, um die Gegend zu sichern und Reisende abzukassieren in früheren Zeiten. |
Wechselvolle Landschaft: Burg in Nordböhmen |
In der Ferne kann man die Lausitzer Berge sehen. Nördlich von Mimon gibt es einige bekannte Sandsteinfelsen und eine Kluft, die besichtigenswert ist. Während wir auf Mimon zu fahren, ändert sich das Wetter. Von Nordwesten ziehen dunkle Regenwolken heran. Das sieht nicht nach einem kurzen Intermezzo aus und bei Straz pod Ralskem streife ich den Regenkombi über. |
Wir sind in Nordböhmen angekommen. Von unserem Haltepunkt aus lässt sich das nächste Ziel unserer Fahrt, der Jested (dt. Jeschken), bereits gut erkennen. Ein steil aufragender Berg, der sich über 1000m aus der Ebene heraus aufschwingt. Dahinter liegt die Stadt Liberec (dt. Reichenberg) und das Isergebirge (tschechisch Jizerské hory, polnisch Izerskie Góry), jener Teil der Sudeten, der sich im Nordwesten an das Riesengebirge anschließt, hauptsächlich aus Granit bestehend. Seine höchste Erhebung, der Hohe Iserkamm, ist im Hinterberg (Polen) bis 1127m und in der Tafelfichte (Tschechische Republik) bis 1124m hoch. Auf seinen Hochflächen findet man zahlreiche Moore. Die Landstrasse, die wir fahren, nähert sich von Westen dem Jested, der einen unverkennbaren Stahlturm auf seinem Gipfel trägt. Schmal, kurvig und durch kleine Dörfer geht es erst, bevor wir uns in steilen Serpentinen auf den Berg schrauben. Um uns herum steht duftender Nadelwald. |
Nordböhmische Strasse aus der KuK-Zeit mit deutscher Inschrift (links im Felsen) |
Weiter Blick vom Jested in den Süden Böhmens |
Reichenberg in aufziehenden Wolken, dahinter das Isergebirge |
Die
Stahlkonstruktion auf dem Jested enthält neben Fernmeldetechnik zusätzlich
eine Seilbahnstation, ein Restaurant und ein Hotel. Wir fahren ganz hinauf. Eine
rote Ampel ignorieren wir, da diese nur den Status der besetzten Parkplätze
oben signalisiert. Es gibt auch, wie erwartet, keine Probleme die Bikes zu parken.
Kaum stehen die Motorräder sicher unter Dach, fängt es an zu regnen.
Wir flüchten ins Innere des Stahlungetüms und machen es uns im Panorama-Restaurant
bequem. Ein günstiges Essen folgt, man spricht übrigens sehr gut deutsch
im Restaurant. Wir blicken nach Reichenberg hinab, die Stadt sieht von hier oben
aus wie viele deutsche Kleinstädte, Hochhäuser am Rand und eine Kirche
im Zentrum. Um uns herum stehen Liftanlagen für den Wintersport. Nach nur
wenigen Tropfen auf dem Berg wird es wieder sonnig. Eine instabile Wettersituation,
wir befinden uns direkt am Rand einer Tiefdruckzone, die sich von Nordwesten her
ausbreitet. |
Reichenberg in Kürze:
Reichenberg (tschech. Liberec), Stadt im Nordböhmischen Gebiet,
Verwaltungssitz des Bezirks Liberec, an der Lausitzer Neisse, 99800 Einwohner;
Hochschule für Maschinenbau und Textiltechnik, Nordböhmisches
Museum, Theater, botanischer und zoologischer Garten. Außer der führenden
Textilindustrie sind Maschinen- und Fahrzeugbau, Papier-, Schuh-, Holzindustrie
und Bierbrauereien vertreten. Ein besonderes Highlight ist der Jested (Jeschken),
der Aussichtsberg der Stadt mit Seilbahn und Skigebiet (1012m über
dem Meeresspiegel), er liegt am südwestlichen Ende des Lausitzer Gebirges. Stadtbild: Gotische Erzdekanatkirche Sankt Antonius (Ende 16. Jahrhundert), barocke Heiligkreuzkirche, Bürgerhäuser des 17./18. Jahrhunderts (darunter die Wallensteinhäuser), Renaissanceschloss (16. Jahrhundert, im 18./19. Jahrhundert umgebaut). Geschichte: Liberec wurde 1255-78 von deutschen Kolonisten gegründet; 1350 erstmals erwähnt. |
Rennaissancepracht: Das Rathaus in Reichenberg (Liberec) |
Umgeben von barocken Fassaden |
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Reichenberg (Liberec) empfängt uns mit dem
Gehabe einer geschäftigen Kleinstadt im Berufsverkehr. Wir schlängeln
uns ins Stadtzentrum vor und parkieren am Rathausplatz. Der Platz wird vom gewaltigen
Rathaus mit seiner prächtigen Rennaissance-Fassade beherrscht. Wer denkt,
hoppla, das habe ich doch schon mal irgendwo gesehen, liegt völlig richtig
mit seiner Vermutung: Vorbild für den Prachtbau war das Wiener Rathaus, die
Reichenberger Version ist kleiner geraten, die Ähnlichkeit aber frappierend.
Wenige Strassenzüge dahinter ist schon Schluss mit der Herrlichkeit, zu sehr
hat die Stadt im Zweiten Weltkrieg gelitten und der Wiederaufbau ist deutlich
weniger gelungen als an vergleichbaren Orten. |
Entlang der Gablonzer Neisse | Die
Tour ist zu Ende. Ich muss sofort in die Schweiz. Der aufziehende Regen, der fortgeschrittene
Abend und meine Verfassung lassen heute keine grössere Strecke mehr zu und
so beschliessen wir, noch bis Spindler Mühle zu unserem vorbestellten Quartier
zu fahren und morgen die Rückreise anzutreten. Die Strasse Nr. 14 über
Gablonz und Tannwald ist in einem schaurigen Zustand, Löcher und Risse allenthalben,
und erfordert höchste Konzentration, der einsetzende Regen tut sein übriges:
Die Strasse wird glitschig. Die Route ins Riesengebirge folgt dem Lauf der Gablonzer
Neisse, -eigentlich sehr idyllisch -, führt durch ein felsiges Tal einer
typischen Mittelgebirgslandschaft, die an den Schwarzwald erinnert, durch Wald
und vorbei an verfallenden Industriebauten der Gründerzeit. Aber ich habe keinen rechten Blick mehr dafür. Wir brauchen eine mir unendlich lang vorkommende Zeitspanne für die restlichen 60 Kilometer ins Paradies des Riesengebirges im Reich Rübezahls in Ostböhmen. Vor Vrchlabi trifft uns ein gewaltiger Guss und wir sind froh, als wir in Spindleruv Mlýn eintreffen und uns ausruhen können. Nach einigen Telefonaten habe ich meinen Zeitplan geregelt, die Totenmesse für meinen Freund werde ich erreichen können. |
Spindler Mühle: Stausee der jungen Elbe |
Nachdem es kurze Zeit später wieder trocken ist,
kommt auch die Sonne wieder hervor und wir fahren zu einer Besichtigung des weitläufigen
Wintersportortes Spindler Mühle, der sehr gelungen angelegt ist und dem man
den Massentourismus für tschechische Verhältnisse nicht ansieht. Dagegen
sind die umweltbedingten Waldschäden nicht zu übersehen. |
Häuser hinter Bäumen.... |
....Blick über Spindler Mühle |
Der
Ort Vrchlabi, von dem aus die Snezka gut zu sehen ist, ist sehr hübsch und
beherbergt ein schönes Schlösschen, dessen Geschichte eng mit der Bedeutung
Vrchlabis verbunden ist. Die Stadt war entstanden, nachdem Rübezahl das Elbtal
mit einer Spitzhacke geschlagen hatte. An der Stelle, wo er sein Schweisstuch
wegwarf wuchs das Städtchen. Soweit die Sage. Gelebt hat man von Holz- und
Glaswirtschaft sowie von Bergbau. Nachdem das Geschlecht der Gründer, die
Gendorfs, wegen aufrührerischen Umtrieben ihren Besitz an die Wallensteins
übergeben mussten, zog das Kriegshandwerk in die Stadt: Kanonenkugeln, Flachwaffen,
Gewehre und Pistolen wurden jetzt gefertigt, später dann auch Bleche und
Tuche. Im 19 Jh. gehörte Vrchlabi dank seiner Webereien, Spinnereien und
Färbereien zu den industriellen Zentren des österreichisch - ungarischen
Reiches. Heute lebt man vom Tourismus, von der Elektroindustrie u.a. |
Vrchlabi, das Rennaissance-Schloss von 1546 |
Vrchlabi im Abendlicht | Im Riesengebirge: Die Schneekoppe |
Es wird langsam Abend. Nach einer Pause in dem schönen Stadtkern machen wir uns auf den Weg zurück. In der hereinbrechenden Dunkelheit stehen wir noch eine Zeit lang an der Staumauer des Sees unterhalb Spindler Mühle und im Angesicht des strömenden Wassers kommen mir die Zeilen Goethes in den Sinn: Seele
des Menschen |