Vierter Tag:


 Berceto - Passo di Cisa - La Spezia - Portovenere - Corvara (Ligurien) (75 Km)

Der heutige Tag beginnt mit etwas Sonnenschein bei leicht bewölktem Himmel. Es ist warm, die Kleider sind quasi trocken geworden über Nacht und so brechen wir nach einem kleinen Frühstück auf und fahren die letzten 5Km auf den Passo della Cisa, der auf 1041m seine Passhöhe erreicht, gleichzeitig Wasserscheide und Grenze zur Toskana ist. Unser Weg führt jetzt im toskanischen Apennin in südlicher Richtung abwärts nach Pontremoli. Im Bereich der Passhöhe ziehen wieder dichte Wolken heran, die Sicht ins Magra-Tal, in das wir jetzt fahren und auf die umgebende Landschaft bleibt hinter Schleiern leider verhangen. Die Strasse führt über weite Serpentinen ins Tal. Es herrscht, wie am Vortag, kaum Verkehr. Pontremoli ist ein kleines hübsches Städtchen, das wir passieren und ab Aulla treffen wir auf den Verkehr, der von Reggio nell'Emilia kommt, sodass es kurz vor La Spezia doch recht voll wird auf der Strasse. Vor La Spezia überqueren wir die Grenze zu Ligurien und rechtzeitig zu unserer Ankunft am Hafen der Stadt haben sich die Wolken ins Gebirge verzogen, wir geniessen den strahlenden Sonnenschein und die Hitze, die sich jetzt entwickelt nach den Tagen voller Wasser.


Passhöhe des Passo della Cisa

Pontremoli im Magra-Tal

Der Hafen von La Spezia
Am Hafen treffen wir auf ein Bikerpaar aus Wien, das uns freundlich grüsst und sofort fragt, wie es im Landesinnern aussieht. Sie haben von der Katastrophe gehört und wollen heute weiter Richtung Wien via Gardasee/Brenner. Wir können nur von überschwemmten Strassen berichten. Ich hoffe, sie sind gut durchgekommen. Unsere Gegenfrage nach der Cinque Terre, von wo sie kommen, beantworten sie mit viel Enthusiasmus, aber die Preise für Übernachtungen seien astronomisch, bis zu 250.- Euro/Nacht bei Portofino. Nun, da wollen wir mal sehen, First Class soll es ohnehin nicht sein. Zur Not fahren wir eben weiter.
Ersteinmal wollen wir uns allerdings ein Käffchen in Portovenere gönnen, das auf einer Landzunge in der Nachbarschaft von La Spezia liegt. Ich habe gelesen, es soll hübsch sein, also nichts wie hin. Wir umfahren das riesige und in Teilen gesperrte Hafengebiet. La Spezia ist der grösste italienische Militärhafen, man sieht die Kriegsschiffe in Reihe liegen, fotografieren ist streng verboten. Der Hafen liegt in einer Bucht auf dessen vorgelagerte Landzunge Portovenere gebaut ist. Das Strässchen schlängelt sich sehr schön am Wasser entlang und nach etwa 20 Minuten sind wir im Dorf auf der Landzunge.

 La Spezia in Kürze:

Als 'schönster Hafen der Welt' bezeichnete Napoleon den Hafen von La Spezia, der in einer Bucht des gleichnamigen Golfes an der Küste der Riviera liegt. Vor allem das umgebende Küstenland, aber auch das von der Küste aufstrebende Gebirge des Apennin, beherbergt sehenswerte Kleinodien. La Spezia selbst ist heute eine nüchterne Industriestadt, sie ist die zweitgrösste Stadt Liguriens, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, hat 96300 Einwohner und verfügt seit Cavour, dem ersten italienischen Ministerpräsidenten, über den grössten italienischen Militärhafen, der weite Teile der Bucht einnimmt. Das führte zu schweren Zerstörungen im zweiten Weltkrieg, sodass heute kaum noch sehenswerte alte Bausubstanz vorhanden ist. Ein Besuch lohnt das über der Stadt thronende Castello di San Giorgio und verschiedene Museen, wie das Museo civico mit zahlreichen archäologischen und ethnographischen Exponaten, oder das lebendige Prione-Viertel. Bedeutender sind die Ziele der Umgebung, die über Jahrhunderte Dichter und Komponisten angelockt haben. Portovenere z.B., hier war Lord Byron, Shelley oder H.D. Lawrence zu Gange, was dem Golf von La Spezia den Beinamen Golfo dei Poeti einbrachte, oder Lerici, das neben einem malerischen Ortsbild über einen langen Strand verfügt, oder Luni, wo der ehemalige römische Hafen zu besichtigen ist, der gleichzeitig die südlichste Grenze von Ligurien markiert. Ein Besuch lohnt auch Sarzana mit seinem Kastell oder Tellaro bzw. Vezzano im Magratal.
In Portovenere, das den Genuesern zur Kontolle des Seehandels diente, da es exponiert auf der Landzunge liegt, kann man eine malerische Altstadt, die autofrei ist, und die Kirche San Pietro, die auf einen Felsvorsprung an die Küste gebaut wurde, besichtigen. Hier gibt es eine 'Lord-Byron-Grotte', wo sich der Dichter besonders inspirieren liess. Nördlich von Portovenere beginnt das Land der 'fünf Erden', die Cinque Terre.

Portovenere: Hafen

Ein malerisches Fischerdorf

Die Küste bei Portovenere
Es ist Mittag in Portovenere. Wie ich es aus Italien nicht anders gewohnt bin, stelle ich mein Bike nicht auf einen markierten Parkplatz, sondern auf ein von Blumenkübeln abgegrenztes Areal, auf dem noch zwei Sitzbänke stehen, ohne allerdings jemanden zu behindern. Rainer parkt gesetzestreu auf einem (dem letzten freien) Motorradplatz. Zuerst gehen wir am Hafen entlang und gewinnen einen Eindruck von den hübschen, teilweise etwas verwitterten Fassaden der ehemaligen - und noch - Fischerhäuser, die am Kai in einer chaotischen Reihe gebaut sind. Sie beeindrucken durch ihre Buntheit, Wäsche flattert fröhlich im Wind, Kinder spielen am Wasser und jede Menge Katzen lümmeln in der Sonne. Unser Spaziergang führt uns weiter zu einer Grotte, die vom Meer gegraben wurde und nach Lord Byron benannt ist, der hier Inspiration suchte und fand. Von dort führt ein kleiner Weg auf den Felsen auf dem die Kirche San Pietro steht. Sie ist äusserlich streifenförmig anzuschauen, eine Besonderheit in Oberitalien. Da man wechselweise weissen Marmor und graues Gestein verbaut hat, entsteht dieser streifenartige Eindruck. Das Kirchlein liegt imposant über dem Meer, sein Inneres ist eher schlicht. Vor der Kirche sehen wir die Überreste der letzten Prozession, die hier stattgefunden hat, überall sind die Felsen, die das Weglein säumen zur Kirche hin, von Kerzenwachs überzogen, Kerzen die man links und rechts einfach auf den Stein gestellt hat. Wir sitzen noch eine Weile über dem Meer, das ich stundenlang anschauen kann, ohne dass mir langweilig würde und gehen dann zurück ins Dorf. Mein Co ist gepackt vom kleinen Hunger und beschliesst, etwas fischiges zu essen, schliesslich sind wir ja am Meer. Ich schliesse mich an. Die Trattoria, die direkt am Hafen liegt, bietet eine entsprechende Auswahl und wir bestellen. Ich muss zugeben, wir sind leider wieder einmal auf eine richtige Touristenfütterung hereingefallen: Meine Muscheln waren schlecht und teuer und das sollte uns endlich eine Lehre sein bezüglich der zu besuchenden Lokale!

Häuser, wie ein Mosaik

San Pietro

Die Riviera di Levante Richtung 5 Terre
Als wir zu den Bikes zurückkehren traue ich meinen Augen nicht, denn an meinem Cockpit klebt ein Knöllchen! Nach langem Suchen entdecken wir den geforderten Betrag: 65.- Euro für falsches Parken. Ich bin entsetzt. Anarchisches Italien, Du Land der Nonchalance, der Ausnahmen vom Gesetz, wo bist Du geblieben!? Auf diese Weise müssen wir es kennenlernen, das Italien der Verbotsschilder, die neuerdings auch eingehalten werden, wie wir noch mehrfach feststellen werden während der Tour. Verschämt packe ich den Zettel weg, nur fort, nicht dass noch ein freundlicher Angehöriger der Polizia vorbeikommt und sofort kassieren will. Den Strafzettel habe ich erst mal auf Eis gelegt, da liegt er bis heute.
Unser Weg führt zurück nach La Spezia und von dort über die S1 gen Nordwesten, Richtung Cinque Terre. Über Serpentinen geht es in die Hügel oberhalb der Stadt. Man hat einen grandiosen Blick von hier oben.

Über den Dächern von La Spezia
Das Wetter ist weiter instabil und der Himmel zieht leider wieder zu, sodass wir beschliessen uns nach Unterkunft umzusehen. Ca. 15km hinter La Spezia zweigt von der S1, die uns durch Wald und kleine Dörfer in schönen Kurven geführt hat, eine Strasse Richtung Küste ab, die in eine steile Bergregion führt. Enge Kurven, teilweise etwas löchriger Belag mit Laub und Sand auf der Fahrbahn fordern unsere Konzentration. Ich erkenne im Halbdunkel des Waldes ein Schild mit der Aufschrift 'Hotel' und fahre einen steilen, geteerten Feldweg in den Wald hinauf. Nach wenigen Kilometern stehen wir in einem kleinen Bergdörfchen mit dem Namen Corvara. Auf dem Kirchplatz sehen wir ein frisch renoviertes kleines Hotel, an dessen Türe ein Zettel prangt. Ich und andere 'normale' Teutonen hätten hier vielleicht aufgegeben, aber schliesslich fährt mein Rainer mit und wir rufen die auf dem Zettel stehende Nummer an und fragen nach Zimmern. "Cinque minuti..." tönt es aus dem Handy und tatsächlich, nach etwa 5 Minuten braust quietschend ein Fiat mit einer jungen Lady heran, die uns öffnet.

Wir besichtigen neu eingerichtete Zimmer mit allem Komfort, erfahren den Preis, der mehr als akzeptabel ist und quartieren uns ein. An der Küste hätten wir sicherlich ein Mehrfaches berappen müssen. Das Hotel gehört einer kleinen Kooperative, die es restauriert hat und nun betreibt, junge Leute, die sich etwas dazu verdienen. Glück muss man haben. Auf die Frage, wo man essen kann, beschreibt uns die junge Frau mehrere Pizzerien und Trattorien in der Gegend. Wir wollen ohnehin noch etwas biken - trocken ist es geblieben - und machen uns auf den Weg, die Gegend zu erkunden. Einige nette Dörfer liegen in der unmittelbaren Umgebung, in Pignone nehmen wir ein Käffchen und erfahren, dass Dienstags alle Restaurants geschlossen haben. Heute ist Dienstag. Als wir ans Hotel zurückkommen und berichten, schwingt sich die junge Frau hinters Telefon und besorgt uns einen Tisch in einem sog. Agritourismo. Davon haben wir bisher nichts gehört und ordnen den Begriff sofort dem ökologischen Landbau zu, Alternativtourismus mit Stallanschluss. Trotzdem bedanken wir uns artig, befürchten aber heimlich, dass unser Abendessen heute aus sog. Ökoziegeln, Dinkelbratlingen und Fencheltee bestehen wird. Wobei ich bitte nichts gegen den ökologischen Landbau habe, im Gegenteil!
Gegen 20.00 Uhr verlassen wir unser Dorf und fahren ins Gebirge zu der angegebenen Örtlichkeit mit unserer Tischreservierung. Ein steiler, holpriger Feldweg führt in den Wald und nach etwa 500m lichtet sich das Gesträuch: Wir kommen an eine blumengeschmückte Einfahrt mit einem entzückenden Anwesen dahinter. Nachdem wir geparkt haben, suchen wir die Gaststube auf, hier herrscht Rauchverbot. Aha, doch Grünkernbratlinge, denke ich, als uns der Tisch zugewiesen wird. Wir sind gespannt auf die Karte, aber die kommt nicht. Stattdessen werden wir nach Getränken gefragt. Ich frage kleinlaut, ob sie denn Cola haben. Die Bedienung schaut mich etwas befremdet an und sagt natürlich kann ich Cola haben! Verschwindet und bringt uns Cola. Immer noch keine Karte. Dafür stehen plötzlich feine Spiesschen mit Mozarella (dem Echten aus Büffelmilch!), Tomaten, Basilikum und einer Platte mit regionalen Salami, Schinken und Speck auf unserem Tisch, dazu gibt es ein leckeres Olivenbrot. Nun greifen wir zu, es schmeckt köstlich. Es folgen ein herzzerreissendes Steinpilzrisotto, Nudeln al ragu, eine unglaubliche Gemüsetarte mit Auberginen-Tomaten-Gemüse, Vitello mit Salat und eine göttliche Kaffecreme mit Kuchen. Es war bisher kulinarisch der absolute Höhepunkt unserer Reise. Wir rollen nach dem 5-Gänge-Menü nach draussen und erholen uns erstmal unter Feigenbäumen. Wieder drinnen fragt, die Bedienung, die unsere holperiges Italienisch bisher geduldig ertragen hatte, in breitestem hessisch: "Na, hats gschmeckt?" Wir fallen um vor lachen, alle im Restaurant gleichermassen. Ein Agritourismo in Ligurien unter deutscher Leitung. Der Abschied ist herzlich, man wünscht uns weiterhin gute Reise, auch die anderen Gäste. Agritourismo muss man sich merken! Am späten Abend trinken wir noch einen Vino rosso der Region im Hotel, in dem sich zwischenzeitlich die Dorfbevölkerung an der kleinen Bar eingefunden hat und fallen anschliessend in die Betten.


Pignone im Apennin

Der Blick über das Küstengebirge


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