Zweiter Tag:


 Glurns - Stilfser Joch - Bormio - Tirano - Passo dell' Aprica - Sale Marasino (210 Km)

Das Vinschgau gehört zur autonomen Region Südtirol oder Hohe Etsch / Alto Adige, wie es auf italienisch heisst. Im oberen Teil des Etschtales liegen verstreut kleine, urige und ursprüngliche Dörfer, die unbedingt eine Besichtigung lohnen. Glurns mit seinen Gassen ist so ein Städtchen, klein und schmuck. Eine komplett erhaltene, mittelalterliche Stadtmauer umgibt den Ort.


Das Dorf Glurns im Vinschgau

Teile der Stadtmauer mit Tor

Der Ort strahlt Wohlstand, Ruhe....

....und Schönheit aus
Als wir aufstehen, beginnt sich ein Zwischenhoch durchzusetzen, die Sonne zeigt sich. Die Motorradkleidung hat über Nacht ihr trockenes Stadium beinahe wieder erreicht. Nach einem Rundgang durch den Ort besteigen wir die Motorräder und fahren das kurze Stück bis Mals, dann talabwärts nach Spondinig, um hier nach rechts auf den Stelvio abzubiegen. Die Wolken verziehen sich mehr und mehr, es wird sogar richtig warm. Gestern hat uns der Regen behindert, heute sind es Radfahrer. Ein Radrennen findet am Stilfser Joch statt. Schon in Glurns regelten Carabinieri den Verkehr, um die Radfahrergruppen zu lotsen. Wir bewegen uns auf das Ortlermassiv zu, dessen Gipfel zu sehen sind. Hinter dem Ort Prato allo Stelvio führt die Strasse auf langgezogenen Kurven in den Wald, um schliesslich hinter dem Dorf Trafoi in engen Serpentinen auf das Stilfser Joch anzusteigen. Eine Besonderheit dieses Passes ist, dass die einzelnen Kehren, die wir meistern müssen, durchnumeriert sind, insgesamt 48 an der Zahl. Nach einem ewigen Gekurbele durch herrlichen Wald auf einer schmalen und holperigen Strasse erreicht man die Baumgrenze und befindet sich doch erst an Tornante (Kehre) 27 bis zur Passhöhe.

Prato am Passaufstieg zum Stelvio

Die Auffahrt mit....

....numerierten Kehren....

....Oldtimer und Bikern

Der Stelvio von der Passhöhe gesehen

König Ortler
Links von uns erhebt sich das Ortlermassiv in beeindruckender Manier. Bis auf 3905m steigt der Riese mit seinem ewigen Eis und seinen nicht minder beeidruckenden Nachbarn Königsspitze und M. Cevedale an. Wir befinden uns hier in einem Naturschutzpark, dem Nationalpark Stelvio. Schnell fahren ist heute unmöglich, da sich Heerscharen von Fahrradfahrern auf dem Pass befinden. Wie schon erwähnt, hat die Dreiländer-Giro, die über zahlreiche Pässe führt, heute ihren Austragungstermin. Auf 2757m erreichen wir die Passhöhe, die dicht bevölkert ist. Nicht nur Radfahrer, nein auch eine Menge Biker und andere Touristen tummeln sich bereits hier oben. So machen wir nur schnell ein Beweisfoto und verabschieden uns Richtung Bormio. Die nach Südwesten führende Abfahrt erweist sich als ebenso kurvenreich wie die Auffahrt und es macht richtig Spass, die alte und vollgepackte Xj durch die Kehren zu treiben. Unterhalb der Passhöhe zweigt in nördlicher Richtung der schweizer Umbrailpass ab, der weiter nach Sta. Maria ins Münstertal führt. Wir kurven auf dem Stelvio talabwärts, rechts der Strasse ergiesst sich ein beachtlicher Wasserfall eines Zuflusses der Adda über die Felsen, wir halten kurz und geniessen das Schauspiel. Unterhalb des Wasserfalles kommen einige unbeleuchtete Galerien und Naturtunnels mit grösseren Löchern im Strassenbelag, sodass wir ein langsames Tempo anschlagen müssen. Danach sind noch einige Serpentinen zu fahren und nach einem Wäldchen kommt die Stadt Bormio ins Blickfeld. Deutsch wird nicht mehr gesprochen, endlich ganz in Italien.

Die Abfahrt Richtung Bormio

Ein beeindruckender Wasserfall

Bormio
Wir gehen stracks auf die Piazza und nehmen einen Espresso mit einem Aqua frizzante. Als wir nach einer Kleinigkeit zu essen fragen, sagt man uns, dass das Restaurant geschlossen habe. Kurze Zeit später kommt die junge Dame jedoch mit einem kleinen Teller zurück, der gefüllt ist mit Schinken, Salami und Käse, dazu bringt sie knackiges Weissbrot, wir beginnen uns heimisch zu fühlen. Eben ist der Gottedienst zu Ende und der Platz füllt sich mit schwatzenden Menschen, es wird sehr lebendig. Im Süden brauen sich schwere Wolken zusammen. Wir beratschlagen über der Karte. Eigentlich wollten wir den Gavia nehmen, ein Pass, der der Literatur nach nicht ungefährlich sein soll. Ein Italiener, der das hört, erklärt uns mit einigem Nachdruck, dass schwere Gewitter im Anzug seien und der Gavia unter diesen Umständen unbedingt zu meiden sei. Unschlüssig hadere ich etwas mit der Situation, aber mein Gefährte nimmt mir mit der Bemerkung .."da wollen wir doch vernünftig sein.." die Entscheidung quasi ab. Kurz entflammt mein Widerspruch, dann bin ich doch 'vernünftig' und wir bemühen uns um eine Alternativroute, die schnell gefunden ist.

Die Piazza in Bormio
Entlang der Adda fahren wir weiter talabwärts ins Valtellina, ins Veltlin. Links liegt die Cima Bianca, sie hüllt sich jedoch in Wolken, die zunehmend schwarz werden. Uns schwant nichts Gutes. Der Ortsausgang von Bormio liegt nach einer langen Geraden, die zum Beschleunigen einlädt. Wir hängen aber hinter einem Lkw und fahren gemächlich, zum Glück, den kurz vor dem Ortsschild sehen wir Carabinieri mit Laserpistolen im Anschlag. Das ist unsere erste Erfahrung mit der grossen Kontrollsucht, die in Italien Fuss gefasst hat: Auf der gesamten Tour kommen wir immer wieder in Sperren der Polizia oder Carabinieri, die, teilweise mit der Maschinenpistole im Arm, den Verkehr kontrollieren. Weiter talabwärts geht es durch einen langen Tunnel, wir lassen wegen der herabhängenden Wolken kleine Verbindungssträsschen in den Süden, die wir nun als 'Ersatz' für den Gavia fahren wollten sowie den Passo Foppa links liegen und gelangen nach etwa 40km in das Städtchen Tirano in der Provinz Sondrio. Hier ist der Endpunkt des Bernina-Express, der von Pontresina über den gleichnamigen Pass hierher führt. Über Poschiavo führt er ins Engadin. Die Stadt Tirano wird von Weinbergen, die terrassenartig an den Berg gebaut sind, gesäumt. Der bekannte Veltliner Wein stammt aus der Region, wir können aus fahrtechnischen Gründen leider nicht probieren, aber eine kurze Pause legen wir ein, da es nun zu regnen anfängt. Nach einem überteuerten kleinen Essen schlüpfen wir erneut in die Regenkleidung. Unser Weg führt zum Passo dell' Aprica, der wenige Kilometer hinter Tirano talabwärts ins Adamello nach Edolo abzweigt in die Provinz Brescia. Die Strasse ist anfangs klein und kurvig, später gut ausgebaut und führt durch einen Hochwald mit tiefen, schluchtartigen Seitentälern auf die Passhöhe zu dem gleichnamigen Ort Aprica, der auf 1181m liegt. Man hat vom Pass aus einen herrlichen Blick ins Addatal Richtung Sondrio. Der Fluss fliesst westwärts in den Comersee und dann südlich aus diesem heraus in die Poebene. Aprica selbst prunkt als klotzige Betontouristenhochburg im Gelände. Also nichts wie durchgefahren und den Passabstieg genommen. Dieser schwingt sich sanft auf gut ausgebauter Strasse bis Edolo durch das Tal des Ogliolo. Es ist, bis auf die wenigen Regentropfen in Tirano, glücklicherweise trocken geblieben.

Tirano im Valtellina

Das Tal der Adda vom Aprica-Pass gesehen

Auf dem Aprica-Pass
In Edolo verbirgt sich das Adamello-Massiv leider hinter tiefhängenden Wolken. Wir sehen dafür eine der grössten italienischen Unarten um so deutlicher: Mitten im Gelände prangt eine wuchtige, niemals zu Ende gebaute lange Brückenkonstruktion. Es sollte eine Autobahn werden, was da die Landschaft verschandelt. Ausser dass die Natur in diesem schönen Alpental zerstört wurde, hat es wohl nur der Mafia genutzt, die sich hier, wie so oft in Italien, die Taschen mit öffentlichen Geldern gefüllt hat. Nun fehlen die Mittel zum Abriss.
Über den Aprica-Pass fuhren wir mehr oder weniger allein, der Verkehr wird in Edolo deutlich dichter, es kommen die Ströme aus Südtirol über den Tonale nach Bergamo/Milano, Brescia und vice versa hier durch. So fahren wir das Ogliotal hinab dem Verkehr hintendrein, überholen wo es geht und hoffen, dass die Hauptmasse vor dem Iseosee Richtung Bergamo/Milano abzweigen wird. Nach etwa 50km im Ogliotal, oder Val Camonica, beginnt es wieder heftig zu regnen. Wir sind das ja mittlerweile gewohnt und so hängt unsere Stimmung nur geringfügig durch. In Lovere, am Nordende des Iseosees, zweigt der Verkehrsstrom tatsächlich Richtung Bergamo ab. Mit deutlich weniger Spritzwasser erreichen wir Sale Marasino am Iseosee und unser Nachtquartier, das hoch über dem See liegt mit einer auch im Regen wunderschönen Aussicht. Hier treffen wir auf ein Bikerpaar, das seit zwei Tagen wegen des anhaltenden Regens in Oberitalien festsitzt. Die nächsten Tage versprechen allerdings keine Besserung und so wollen sie morgen, wie wir, ebenfalls gen Süden aufbrechen. Dem Wetterbericht nach regnet es bis Neapel, also werden wir wohl wieder nass werden. Die Stimmung an diesem Abend ist aber lange nicht so trübe, wie das Wetter. Noch nicht.

Der Blick vom Quartier auf....

....den Iseosee


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