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 Mazeikiai - Klaipeda - Kurische Nehrung (158 Km)

An diesem Morgen erwartet uns eine ungewohnte Aussicht beim Blick aus dem Fenster: Rundherum stehen die Betonklötze von Mazeikiai. Das Frühstück entpuppt sich als ungeniessbar und wir bezahlen rasch, um dem wenig gastlichen Ort zu entfliehen. Draussen herrscht das nächste Tiefdruckgebiet und so zwänge ich mich gleich in meine Regenklamotten. Anschliessend fahren wir aus Mazeikiai hinaus Richtung Süden auf Schotterpisten, die nach einsetzendem Regen immer tiefer werden. Schliesslich weichen wir auf die gut ausgebaute Hauptstrasse Nr. A222 aus und fahren durch verregnete Dörfer. In Seda ist ein Flohmarkt, wo wirklich alles angeboten wir. Es geht verständlicherweise weniger um Trödel und Antiquitäten, sondern hier kann man gebrauchte Kleidungsstücke, Schuhe etc. sehr billig erwerben. Von hier sind es noch wenige Kilometer bis Plunge, einem kleinen litauischen Städtchen, das mit einem wenig aufregenden Stadtbild aufwartet. Wir trinken eine Tasse Kaffee und nehmen den Weg weiter nach Westen auf der P204. Gegen Mittag erreichen wir die alte Stadt Memel, heute Klaipeda.

Plattenbauten in Mazeikiai....

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Die Kirche in Seda....

....mit Dorfjugend....

Der Theaterplatz von Klaipeda, mit....

....dem Ännchen von Tharau

 Klaipeda in Kürze:

Klaipeda, das frühere Memel ist Litauens einziger Seehafen, von wo auch nach Deutschland eine Fährverbindung besteht. 1252 wurde der kleine Ort an der Dane-Mündung vom deutschen Schwertritterorden erobert und die offizielle Gründung der Stadt Memel, die eine Festung erhielt, vorgenommen. Sie hatte grosse strategische Bedeutung zur Sicherung der Wege von Königsberg nach Riga. Ausgestattet mit verschiedenen deutschen Stadtrechten, fiel Memel 1422 dem Deutschritterorden zu, wurde 1525 preussisch und prosperierte anschliessend, die Stadt erlebte eine Blütezeit. 400 Jahre war sie preussisch, wenige Jahre schwedisch im Dreissigjährigen Krieg, dann von Russen erobert, schliesslich von den Preussen zurückgewonnen. 1807/08 war hier während der napoleonischen Kriege vorübergehend die preussische Residenz untergebracht. Nach dem Krimkrieg, der der Stadt unglaublichen Reichtum bescherte, weil Russland seine Kriegsgüter über den Hafen ein- und ausführte, brannte sie völlig nieder. Bis zu Ende des ersten Weltkrieges war Memel der östlichste Zipfel des Deutschen Reiches, nach der Niederlage wurde die Stadt unter Verwaltung des Völkerbundes und anschliessend unter französische Herrschaft gestellt. Nach Abzug der Franzosen nutzten litauische Nationalisten die Gunst der Stunde und besetzten ihrerseits die Stadt. 1925 kam die Stadt, die nun Klaipeda hiess, offiziell zu Litauen, allerdings zweisprachig, wie es die Memelkonvention vorschrieb, immerhin stellten die Deutschen noch die Bevölkerungsmehrheit. Dennoch ging eine Jahrhunderte währende deutsche Herrschaft zu Ende. Auf Druck der Nazis wurde das Memelland 1939 wieder deutsch. Die Stadt war über die Jahrhunderte ein Beweis für das friedliche Miteinander der Kulturen gewesen, nun war es damit zu Ende. Wer unter den memelländischen Juden Geld hatte floh nach Litauen, wo er allerdings schon zwei Jahre später der Vernichtung anheim fiel. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges wurde die Stadt erbittert von den Deutschen verteidigt und nahezu zerstört, eine Tatsache, die sich im heutigen Stadtbild leider widerspiegelt. Bis 1987 war die Stadt sowjetisches Sperrgebiet, sie ist heute ein wichtiges Industriezentrum.
Der bekannteste Platz der Stadt ist der Theaterplatz, hier an der Oper, wo schon Richard Wagner dirigierte, steht das Denkmal des Ännchen von Tharau, die eigentlich Anna Neander hiess, aus Königsberg stammte und auf den Dichter Simon Dach einen nachhaltigen Eindruck ausübte, sodass er dieses verliebtes Gedicht schrieb, das sich zu einem Volkslied mauserte, nachdem es von Johann Gottfried Herder ins Hochdeutsche übersetzt worden war. 1939 musste das Ännchen zugunsten einer Hitlerbüste abtreten, es steht heute aber wieder in voller Grösse an seinem Platz. Wer dem Akkordeonspieler zu Füssen des Denkmales einen kleinen Obolus entrichtet, kann sich das Lied vorsingen lassen. Der Stadtrundgang führt zu eher versteckten Kleinodien, das Stadtbild als Ensemble ist nach den schweren Zerstörungen nicht wiederhergestellt.



Ein Bernsteinmarkt

Brücke über die Dane
Wir essen am Theaterplatz eine Kleinigkeit und beschliessen wegen des einsetzenden Regens nun schnell auf die Nehrung zu fahren. Durch die Stadt führt der Weg zur Meme lmündung, am Hafen legt eine Fähre den kurzen Weg zur Nehrung zurück. Man bezahlt immer Hin- und Rückfahrticket sofort. Nachdem wir nach kurzer Überfahrt bei Sandort auf der Nehrung angekommen sind, führt uns der Weg in südlicher Richtung auf der einzigen befahrbaren Strasse durch einen Wald mit kleinwüchsigen Bäumen. Ringsumher Sand. Bei einer Mautstelle müssen wir Eintritt für das Gebiet des Nationalparkes bezahlen, es ist allerdings nicht teuer. Ab und zu tröpfelt ein wenig Regen, sonst bleibt es nun vorübergehend trocken. Für baltische Verhältnisse herrscht auf dieser Strasse geradezu viel Verkehr und die Leute hier sind ausnehmend freundlich, denke ich: Jedes entgegenkommende Fahrzeug gibt uns die Lichthupe. Als einer winkt, winke ich zurück, da dämmert es mir langsam und gerade noch rechtzeitig kommt mir der Gedanke, dass die Lichthuperei vielleicht wie bei uns daheim auch eine Warnung sein könnte und so passen wir uns den Geschwindigkeitsvorschriften vorsichtshalber an, 70 km/h teilweise auch 50 km/h auf der Landstrasse. Und richtig: Vor Juodkrante steht eine mobile Radarfalle, ein Bild, das in Litauen häufig zu finden ist, manche behaupten, dass hinter jeder Hecke dieses schönen Landes ein Polizist mit Laserpistole steht. Das ist allerdings leicht übertrieben, aber nur leicht! In Juodkrante (Schwarzort) sehen wir ein Hotel und nehmen zwei Zimmer, meines ist in einem Sanatorium gelegen und daher besonders billig, anschliessend wollen wir die Nehrung erkunden.

  Die Kurische Nehrung in Kürze:

"Die Kurische Nehrung ist der schmale Landstreifen zwischen Memel und Königsberg, zwischen dem Kurischen Haff und der Ostsee. Das Haff hat Süsswasser, das auch durch eine kleine Verbindung mit der Ostsee bei Memel nicht beeinträchtigt wird, und birgt Süsswasserfische. Der Landstreifen ist ca. 96 Km lang und so schmal, dass man ihn in 20 Minuten oder einer halben Stunde bequem vom Haff zur See überqueren kann. Er ist sandig, waldig und sumpfig." So beschrieb Thomas Mann, der wohl berühmteste Bewohner der Nehrung dieses landschaftliche Kleinod. Der Sage nach entstand die Nehrung durch die Sandaufschüttung einer Riesin mit dem Namen Neringa, die zum Schutz der Fischer den Landstreifen als Abgrenzung zur Ostsee schuf. Die naturwissenschaftliche Version ist dagegen wesentlich nüchterner: Die letzte Eiszeit hinterliess im Meer eine Kette von Endmoränenhügeln, die im Laufe der Jahre von einer nördlichen Strömung mit Sand aufgefüllt wurden, sodass ein Landstreifen entstand. Die riesigen Wanderdünen, v.a. bei Nidden, die höher sind als die Dünen an der Atlantikküste, die ruhigen Wälder und die menschenleeren Sandstrände machen die Nehrung zu einem einzigartigen Naturgebilde. Nach dem ersten Weltkrieg wurde sie geteilt, nach dem 2. kam sie vollständig unter sowjetische Herrschaft. 1961 wurden alle Dörfer der Nehrung zur Stadt Neringa zusammengefasst. Vor rund 3000 Jahren war sie bereits besiedelt, auf ihr lebten Kuren, Zemaiten und Semgallen. Der Deutsche Ritterorden führte hier eine Heeresstrasse durch, zunehmend liessen sich auch Deutsche nieder. Die Kuren blieben Fischer, die Deutschen übernahmen die Verwaltung. Die Siedlungen liegen am Haff, nicht am Meer. Im 18. Jh. begannen die Dünen nach gründlichen Abholzmassnahmen zu wandern und begruben 14 Dörfer. Der preussische Staat forstete die Landschaft mit viel Aufwand wieder auf. Heute ist die Nehrung Nationalpark. Im Norden der Nehrung liegt die Festung Kopgalis, eine preussische Gründung aus dem 19. Jh., in der heute das Meeresmuseum untergebracht ist. Nach Süden ist v.a. der alte Ort Schwarzort (Juodkrante) zu erwähnen, der mit alten Holzhäusern aufwartet. Viele Wanderwege führen in die Dünen, man kann Pilze und Beeren sammeln, die hier gut gedeihen. Ein Highlight ist der Hexenweg , der zum gleichnamigen 'Berg' führt und von zahlreichen Holzfiguren aus der litauischen Märchenwelt gesäumt wird. Erwähnenswert ist auch das grosse Bernsteinvorkommen der Region, bei Juodkrante gibt es sogar eine Bernsteinbucht. Langsam ist das Vorkommen dieser für die Region typischen Harzversteinerung allerdings erschöpft. Weiter südlich, in Preila, kann man Fischerhäuschen in der kurischen Bauweise sehen, bevor man in den wohl bekanntesten Ort der Nehrung, nach Nidden (Nida) kommt. Er war eine beliebte Künstlerkolonie, hier waren bekannte Maler der Brücke zuhause, Carl Zuckmayer und von 1930 bis 1932 wohnte hier Thomas Mann mit seiner Familie, das Haus ist als Museum restauriert und zugänglich gemacht worden. Von seinem Arbeitszimmer aus hat man einen herrlichen 'Italienblick' über das Haff. Mann bewunderte die Elche beim Baden, die er von hier oben gut beobachten konnte und schrieb hier den Roman 'Joseph und seine Brüder'. Besucht man den Friedhof von Nida, so kann man einen Eindruck der vielen Kulturen, die hier friedlich nebeneinander lebten, gewinnen. Im Hafen von Nida liegen die zwei einzig verbliebenen Kurenkähne, die nicht mehr zum Fischen, dafür aber zur Touristenattraktion benutzt werden. Heute ist der Nationalpark Kurische Nehrung Teil des UNESCO Weltkulturerbes.


Blick von der Nehrung auf das Haff

Nehrunghaus in typischem Blau

Die Kirche von Schwarzort
Es regnet jetzt nicht mehr, nein es schüttet, und zwar ohne Unterlass. So fahren wir die 20Km bis Nidden. Unterwegs sehen wir eine Bache mit ihren Ferkeln, die die Strasse kreuzen. Von den hier vorkommenden Elchen ist leider keiner zu sehen. Südlich von Nidden kommt nach ca. 5Km die Staatsgrenze Litauens zu Russland in Sicht. Da wir nicht vorhaben nach Königsberg zu fahren, kehren wir um und suchen uns im reizenden Touristenort Nidden ein kleines Lokal um uns aufzuwärmen. Kälte und Regen fordern ihren Tribut. Im Café kredenzt uns eine Litauerin in ihrer Tracht den Tee und mit ihren blonden Zöpfen sieht sie aus, wie ein Abbild aus Disneyland, oder wie man sich früher eine echte Germanin vorstellte. Der Wirt spricht gut deutsch und da er ein weiteres Café in Kaunas besitzt und wir dorthin fahren wollen, gibt er uns einige nützliche Tipps mit auf den Weg.

Die Grenze zu Russland

Die hohen Dünen bei Nidden

Ein Kurenkahn im Hafen von Nidden
Im örtlichen Kulturzentrum erfahren wir, dass man sich hier wieder mit der kulturellen Vergangenheit zunehmend auseinandersetzt, interessanterweise sind auch viele Schweizer dabei in Memoriam Thomas Mann. Nidden besticht durch ein wunderschönes Dorfbild, man kann hier die typischen, alten Häuser der Nehrung mit ihren ortsüblichen Giebeln bewundern, und einem kleinen Hafen, wo noch die von der ehemals stolzen Fischerflotte übriggebliebenen zwei Kurenkähne ablegen. Heute nicht mehr zum Fischen, vorwiegend werden damit Touristen aufs Haff transportiert. Südlich von Nidden, Richtung GUS, liegen die grossen Sanddünen, die höchsten Europas und in weitem Bogen sieht man bis nach Russland hinüber. Wir besichtigen in strömendem Regen das Haus von Thomas Mann, das auf einem Hügel sehr schön gelegen ist mit Blick auf das Haff. Es wird nun Abend und für uns Zeit, ins Quartier zu kommen. Dort angelangt, lassen wir uns ein regionales Abendessen schmecken und können den Einheimischen zusehen, die in einem Festsaal mit Musik, Gesang und Tanz das Sonnenwendfest feiern. Ziemlich müde fallen wir am frühen Morgen in unsere Betten.

Häuser in Nidden

Das Thomas Mann - Museum


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