Zehnter Tag:


 Kurische Nehrung - Memeltal - Kaunas (270 Km)

Als ich in meinem Zimmerchen aufwache, prasselt der Regen gegen das Dachfenster, das Wasser rinnt in Strömen, ein leider schon gewohnter Anblick. Draussen beginnt der Tag Grau in Grau, nicht gerade eine Tatsache, die die Stimmung hebt. Im Frühstücksraum beratschlagen wir, ob es sinnvoll ist, noch einige Tage auf der Nehrung zu bleiben, wie wir es eigentlich vorhatten. Nachdem wir den Wetterbericht erfahren fällt uns die Entscheidung allerdings leicht: Es soll noch Tage so bleiben, aber im Südwesten nähert sich ein umfangreiches Hochdruckgebiet mit sommerlichem Wetter. Also beschliessen wir den Aufbruch, um schnellstmöglich dem mistigen Wetter zu entfliehen und in wärmere Gefilde zu entkommen.

Wieder Dauerregen über der Nehrung

Rauhes Wetter über der Ostsee

Die Memelmündung bei Klaipeda
Wir fahren wieder bei Sandort auf die Fähre und in wenigen Minuten sind wir zurück in Klaipeda. Ohne nochmals in die Stadt zu fahren benutzen wir wg. des Sauwetters in Abweichung von der geplanten Route, die ursprünglich das gesamte Memeltal durchfahren hätte, die Autobahn Kaunas-Vilnius, die recht leer ist und uns gut voranbringt. Trotz meiner hoch geschätzten Griffheizung wird es sehr kalt, wir fahren wegen der auch hier zu sehenden Kollegen von der uniformierten Truppe mit ihren Messgeräten, nur die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h und nachdem wieder ein Regenguss einsetzt suchen wir Schutz in einer Autobahnraststätte. Diese besteht aus einem kleinen Häuschen, in dem sich zwei Damen um den Service kümmern. Sie sprechen keine Fremdsprache und wir suchen auf der Karte, die über dem Tresen hängt nach bekannten Namen für die innerliche Erwärmung, was allerdings nicht gelingt, es finden sich nur unbekannte Begriffe.

Autobahnraststätte in Litauen
Mit Gesten versuchen wir eine Bestellung aufzugeben, die sich kurze Zeit später als Desaster entpuppt, wir bekommen nämlich eine kalte Suppe geliefert. Na ja, schliesslich ist Sommer und so verdrücken wir das Missgeschick tapfer. Nur wenig aufgewärmt geht es bei scharfem und kaltem Gegenwind weiter. Nach einigen Kilometern beschliessen wir, unser ursprüngliches Vorhaben, nämlich durchs Memeltal zu fahren, trotz des schlechten Wetters in die Tat umzusetzen und verlassen die Autobahn bei Raseiniai in südlicher Richtung. Der Weg führt nun über eine Landstrasse, die allerdings gut ausgebaut ist, durch eine Landschaft voll grüner Wiesen. Ab und zu sieht man kleine Gehöfte stehen und besonders fallen uns die zahlreichen, in Gruppen vorkommenden Störche auf, die in den Wiesen stehen.

Litauischer Bauernhof

Die Memel....

....im romantisch gelegenen Tal
Die Strasse führt in grossen Kurven durch Wald und bei Gelgausiskis kommen wir an den Fluss, der in einem romantischen Tal ruhig fliesst und bis 1945 die Grenze Ostpreussens zu Litauen markierte. An seinen Ufern findet sich ein feiner Sandstrand und man kann die den Memelstrand besingenden Volkslieder verstehen, die dem Fluss ein Denkmal gesetzt haben. Ob man hier allerdings baden sollte, wage ich zu bezweifeln, denn alle Abwässer der anliegenden Gemeinden werden ungeklärt eingeleitet. Das hält aber kaum jemanden vom Fischen ab, wie wir beobachten können. Die Strasse Nr. A228 führt uns nun entlang des Flusses weiter Richtung Südosten und wir haben teilweise einen herrlichen Blick auf die Flusslandschaft sowie auf kleine Dörfer, die direkt an der Memel liegen mit ihren teilweise stattlichen katholischen Kirchen, wie die neugotische Georgskirche in Vilkaja. Es herrscht kaum Verkehr. An einem Imbiss nehmen wir zwei fettige und wohl schon ältere Blinis ein, wenigstens warm waren sie, dann geht es weiter, die letzten Kilometer hin zur zweitgrössten Stadt Litauens.

Das Dorf Vilkija an der Memel
Vor Kaunas beginnt erneut ein Lichthupenkonzert des Gegenverkehrs und wir fahren langsam und vorsichtig weiter, bis wir die Radarstelle passiert haben, die übrigens meisterlich hinter einer Hecke getarnt ist, wie überhaupt alle Radarfallen in Litauen nur schwer auszumachen waren. Die Stadt empfängt uns mit dem typischen grauen Bild der Vorstädte, das sich allerdings schnell wandelt, als wir ins Zentrum kommen. Hier stehen niedriggeschossige Häuser, die einen gut erhaltenen Eindruck machen, keine Betonbauten verschandeln die Innenstadt. Als einen ersten Eindruck des Zentrums sehen wir die Garnisonskirche, die ihre Kuppeln am Ende der Laisves aleja erhebt. Da wir keinen Plan haben, wo wir unterkommen sollen, gehen wir in der Laisves Allee, die Fussgängerzone, Nichtraucherareal und Flaniermeile der City ist, ins offizielle Tourismusbüro der Stadt. Dort empfängt uns eine junge, sehr freundliche Dame, die nach einem Telefonat schnell zwei Zimmer organisiert in einem sonst recht teuren Hotel, aber durch die Anmeldung über ihr Büro können wir einen Rabatt von sage und schreibe 30% bekommen.
Sie gibt uns noch ein paar Tipps für die Stadt mit auf den Weg und wir sind nach wenigen Kurven im Quartier, eine richtige Luxusherberge, vergleicht man sie mit den von uns vorher frequentierten Unterkünften. Nach einem ausgiebigen Bad, das uns die fast schon ungewohnte Wärme wiedergibt, wollen wir die verbleibende Zeit des Tages nutzen und Kaunas besichtigen. Wir gehen die wenigen Schritte zu Fuss in die Altstadt, die sehr lebendig wirkt, die vielen kleinen Läden sind rege bevölkert. Minütlich wird jetzt das Wetter besser, der Himmel reisst auf und strahlend blau begleitet er uns in den Abend. Über die Sv. Gertrudos gatve gelangen wir in die Altstadt. Hier beeindruckt uns besonders der Rathausplatz mit dem im Kirchenstil erbauten alten Rathaus aus dem 18. Jh., das von der Bevölkerung wegen seines Aussehens auch 'Weisser Schwan' genannt wird und heute gerade noch das Standesamt beherbergt. Sehenswert finden wir auch die alte Burg, von der allerdings nur noch Reste übrig sind, die Kathedrale, das grösste gotische Bauwerk Litauens sowie natürlich die Häuserensembles, die die Strassen säumen.

Die Garnisonskirche in Kaunas

Rathaus....

....und Jesuitenkirche
Auf dem Rathausplatz ist heute Sonnwendfest und die Bewohner der Stadt feiern ausgelassen, auf einer grossen Bühne bieten Gruppen von Jugendlichen Tanz und Gesang in landesüblichen Trachten dar. Für uns hat es etwas Rührendes, wie man hier der Tradition frönt, aber es ist keine Volkstümelei, die sich darbietet, sondern gelebte Volkskultur, die im Baltikum eine ungeheure Rolle spielt. Nachdem wir eine Zeitlang zugeschaut haben, gehen wir durch die Gassen hinunter an den Fluss. Die Strassen beginnen sich zu füllen, man will das Wetter nutzen und die vielen Cafés werden bevölkert.

In der Altstadt

Der Zusammenfluss von Neris und Memel
Über kleine Wege kommen wir auf eine Landzunge, die zum Zusammenfluss von Neris aus dem Norden und Nemunas (Memel) aus dem Osten führt, den zwei grössten Flüssen Litauens, die sich hier vereinigen. Im abendlichen Gegenlicht -der Himmel ist nun strahlend blau- ist die friedliche Stimmung hier ein berückendes Naturerlebnis, das auch durch die zahlreichen Spaziergänger nicht getrübt wird, da sie sich alle still verhalten und den Anblick geniessen.

Blick auf die Stadt
Von dieser Stelle hat man einen schönen Blick zurück auf die Türme der Stadt. Wir gehen mit den letzten Strahlen der Abendsonne wieder in die Altstadt, wo wir den Restauranttip der freundlichen jungen Frau aus dem Tourist Office aufsuchen und uns in einer urigen Kneipe in der Altstadt regionale Spezialitäten schmecken lassen. Auf der ganzen Tour war dies das beste Essen! Schon recht müde geworden, kehren wir nach einem kurzen Besuch auf dem Rathausplatz, wo jetzt eine Girlie-Combo in Barbie-Manier den Platz mit den auf der ganzen Welt gleich klingenden Computerklängen zumüllt, in unser Hotel zurück und ich falle in einen tiefen Schlaf. Morgen wollen wir die Besichtigung fortsetzen.

 Kaunas in Kürze:

Man nennt Kaunas auch die Stadt der Museen. Ein reichhaltiges Kulturangebot empfängt den Reisenden. Sie soll die litauischste und selbstbewussteste Stadt des Landes sein und war früher vorübergehend Hauptstadt des Landes. Mit ihren 500.000 Einwohnern, von denen 85% Litauer sind, ist sie das wichtigste Industriezentrum Litauens. Der alte Stadtkern mit einer Burg liegt auf einer Halbinsel, die vom Zusammenfluss der Ströme Neris und Nemunas gebildet wird. Die Altstadt geht auf eine lange Geschichte zurück. Erstmals 1361 erwähnt, prosperierte die Stadt als Handelsweg zwischen Ost und West. Den Eroberungsversuchen der deutschen Ordensritter hielt sie ebenso stand, wie der Christianisierung, die erst sehr spät, nämlich nach der Polonisierung erfolgte. Man ist in Litauen auf diese heidnische Geschichte besonders stolz. Kaunas war nie Mitglied der Hanse, diese unterhielt jedoch eine Dependance in der Stadt von 1441 bis 1532, sodass eine enge Anbindung an den Handelsbund möglich war. Die Architektur der Innenstadt stammt in Teilen noch aus dem 16.Jh, als nach einem grossen Brand das bis heute erhaltene rechtwinklige Strassennetz geplant wurde. Während der Kriege polnisch-Litauens mit Schweden und Russland im 17. und 18. Jh. litt die Stadt erheblich und erlebte ihre zweite Blütezeit erst zwischen den Weltkriegen. Von 1795 an gehörten die jenseits der Nemunas gelegenen Anteile zu Russland, die diesseitigen westlichen Teile verleibte sich Preussen ein. Ein trauriges Kapitel war die deutsche Besatzung 1941, die die zaristischen Festungen zu Konzentrationslagern umfunktionierte und dort 80.000 Juden, 10.000 russische Kriegsgefangene und weitere Opfer aus anderen Ländern ermordet hat. Der litauische Anteil an diesem Völkermord, die litauischen Sondereinheiten der SS, wird jedoch bis heute verdrängt und so erinnert eine Gedenkstätte nur an die deutschen Greueltaten. Sehenswert sind in der Stadt die Kirchen, wie die ehemalige russische, heute katholische Garnisonskirche, die Kathedrale und die Auferstehungskirche, Burg und Rathaus, das im Kirchenstil erbaut ist, sowie einige spätgotische und Renaissancegebäude, hier besonders zu erwähnen das Perkunas-Haus (Aleksoto 6) und der Malsalskis-Palast. Der zentrale Platz ist der Rathausplatz, früher Ort von Hinrichtungen und Parademärschen, heute für Festlichkeiten und Märkte genutzt. Gleich daneben liegt das spätbarocke Jesuitenkloster mit der gleichnamigen Kirche. Die umliegenden Bürgerhäuser in gotischem Stil beherbergen Cafés, kleine Läden und Galerien. Daneben gibt es noch eine Reihe von Museen, wie z.B. das zoologische Museum, das Militärmuseum und das architektonisch besonders auffällige Ciurlionis-Museum, das neben anderen Kunstmuseen und Galerien einen Besuch wert ist. In Kaunas gibt es einen Zoo und ein botanisches Museum. Litauen ist neben Irland das poetischste Land Europas, diese Stadt spiegelt das wider.


zurück
Page-Uebersicht
nach oben
zur Touruebersicht
weiter