Siebter Tag:


 Häädemeeste - Jurmala (166Km)


Das Dorf Häädemeeste
Das Aufstehen heute ist von einer guten Nachricht begleitet: Es regnet nicht. Wir frühstücken schnell und machen uns auf Richtung Staatsgrenze, die nur noch wenige Kilometer entfernt ist. Auf einem kleinen Strässchen geht es durch den Ort Häädemeeste, der durch kleine Häuschen in Holzbauweise gekennzeichnet ist. Wieder passiert, was schon häufiger zu beobachten war: Menschen in ihren Gärten, v.a. Kinder, aber auch Erwachsene, lassen alles liegen und fangen an zu winken, wenn sie uns gewahr werden. Gefällt mir eigentlich nicht schlecht und wir winken fröhlich zurück. So kann reisen sein. Wir biegen unmittelbar vor der Grenze wieder auf die Hauptstrasse ein, da sehen wir auch schon die Zollstation. Vor uns nur ein PKW. Trotzdem müssen wir uns brav an eine Ampel stellen, die erschreckend lange auf Rot bleibt. Dann dürfen wir einzeln in den Kontrollbereich einfahren. Wieder durchsucht uns keiner, aber der lettische Beamte verschwindet mit unseren Papieren. Man ist distanziert, aber nicht unfreundlich.

Grenze Estland - Lettland bei Ainazi
Sie wollen alles haben: Fahrzeugpapiere, Pässe sowieso und die grüne Versicherungskarte, die wir, Dank an Vorwarnungen, griffbereit haben. Ohne sie wäre eine Busse fällig. Nach etwa 30 Minuten sind wir endlich abgefertigt und schreiten zum Geldumtausch. Meinem Kompagnon werden seine D-Mark ohne Probleme gewechselt, das gleichzeitig eingereichte estische Geld aber schlicht unterschlagen. Ich sehe ihn angestrengt nachrechnen. Immerhin fehlen über 100 Mark. Nun stehen wir da, die Dame von der Wechselstube stellt sich taub und wir sprechen kein Russisch oder Lettisch. Hilft nur: Stehen bleiben. Die Schlange hinter uns wird länger. Schliesslich kommt ein vermutlich Vorgesetzter und mit Händen und Füssen klärt sich die Situation dann doch und wir bekommen den fehlenden Betrag ausbezahlt. Hinter der Grenze befindet sich eine Tankstelle, die wir anfahren und beim finnischen Neste-Konzern Sprit einkaufen. Weiter geht es auf der Hauptstrasse A7 Richtung Riga, der lettischen Hauptstadt und Perle des Baltikum.

Hauptstrasse nach Riga
Der Weg führt schnurgerade durch die typischen Alleen. Der Duft der ätherischen Öle steigt uns in die Nase und es ist das pure Vergnügen hier entlangzugleiten. Der Eintopf knattert fröhlich, doch die Antriebskette scheint etwas unrund zu laufen. Auch in Lettland herrscht nur sporadischer Verkehr, sehr angenehm, wir können hier auch mal etwas schneller fahren. Und siehe da, wir treffen auf die ersten Motorradfahrer im Baltikum. Schon von weitem wird der Motorradgruss angesetzt: Kein lässiges Fingerheben wie zuhause, nein ein wildes beidseitiges Winken setzt ein und im Rückspiegel erkenne ich finnische Kennzeichen. Nach einigen Kilometern fahren wir durch den Ort Saulkrasti und beschliessen dort ein Mittagessen einzunehmen. Direkt an der Strasse liegt ein Restaurant, in dem man sehr preisgünstig ein recht schmackhaftes Essen bekommt. Wir beobachten den Verkehr und sehen das eine und andere Vehikel aus Sowjetzeiten sowie einige deutsche Uralt-Modelle. Ein Moskowitsch kann nur von der Ampel starten, wenn der Beifahrer Starthilfe in Form von anschieben gibt. Nach dem Essen geht es das letzte Stück Landstrasse und wenige Kilometer vor Riga auf die Stadtautobahn hinein in die lettische Metropole. Wir fahren eine geraume Zeit durch ziemlich hässliche Vorstädte, bis wir ins Zentrum von Riga kommen. Was für eine Stadt, ein Moloch. Kein Wunder, es ist schliesslich eine Millionenstadt. Bevor wir uns Gedanken zur Hotelsuche machen können, fängt es wieder kräftig an zu regnen. Wir beschliessen, noch bis Jurmala, dem Badevorort von Riga zu fahren und gehen wieder auf die Autobahn Richtung Westen. Im Regen kommen wir schliesslich nach ca. 25 Kilometern in Jurmala an.
Der erste Weg führt uns in die Tourismusinformation. Hier werden wir hoffentlich eine Unterkunft bekommen. Eine freundliche junge Russin spricht leidlich englisch und telefoniert für uns, dann gibt sie uns eine Adresse, wo wir Zimmer finden würden. Also machen wir uns auf den Weg und erreichen nach wenigen Minuten ein kleines, von aussen recht ansprechendes Häuschen mitten unter Bäumen. Eine ältere, etwas füllige Russin öffnet. Sie spricht nur russisch und zeigt uns die düsteren Zimmer, die aus den dreissiger Jahren stammen müssen, ein intensiver Geruch von Mottenkugeln hängt in der Luft. Eigentlich hatten wir uns etwas Hübscheres vorgestellt. Sie muss an unseren Mienen die 'Begeisterung' ablesen können. Wir versuchen, ihr klar zu machen, dass wir noch eine Runde drehen werden, um uns noch etwas umzusehen, da beginnt sie unsere ablehnende Haltung zu verstehen und fängt zu schimpfen an. 'Njemtzi', Deutsche, höre ich heraus. Wir müssen sie schwer beleidigt haben mit unserem Westlergehabe und im nachhinein tut es mir aufrichtig leid, dass wir die Zimmer nicht angenommen haben, denn das was wir auf unserer weiteren Suche vorfinden ist keinen Deut besser, nur doppelt so teuer. Langsam etwas genervt durch die Witterung suchen wir ca. 2 Stunden, bevor wir ein bezahlbares Quartier finden, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis in etwa stimmt. Hotels heissen in Lettland übrigens Viesnica. Ein besonders abschreckendes Beispiel für Hotelunkultur finde ich das aus Stalinzeiten stammende und völlig abgewrackte Hotel Dzintari, ebenso wie die Prachtbauten Bulduri, Lielupe und Majori. Hier treffen wir ein münchner Pärchen, das auf seiner Transalp in den Norden unterwegs ist. Gerne hätten wir noch ausführliche Bikerneuigkeiten ausgetauscht, doch der Preis für eine Übernachtung ohne Frühstück in diesen stalinistischen Betonklötzen mit dem Charme von Massenherbergen lässt uns aufbrechen und weitersuchen. Endlich finden wir ein Doppelzimmer in einem Hotel, das durch starke Sicherheitsmassnahmen rund ums Quartier auffällt: Überall sind Videokameras installiert. Ein weiterer Fakt macht uns nachdenklich, dass nämlich jeder PKW hier über eine Alarmanlage verfügt. Jedes Auf- und Abschliessen wird von einem grässlichen Gequieke durch das Fahrzeug kommentiert. Wir werden noch erfahren, warum das so ist. Erst einmal wollen wir uns den einst so mondänen Kurort Jurmala ansehen, auch der Regen hat zwischenzeitlich aufgehört. Eine Überprüfung meiner Antriebskette ergibt den traurigen Tatbestand, dass sie die gesamte Tour nicht mehr durchhalten wird. Eigentlich bin ich ja selbst Schuld, nach 28.000Km sollte man vor so einer Tour einen neuen Kettensatz montieren. So spanne ich sie nochmal und krame in meinen Unterlagen nach, welche Suzuki-Werkstatt auf der Route liegt um evtl. Ersatz beschaffen zu können. In Lettland gibt es nur die Vertretung in Riga, auf den folgenden Abschnitten in Litauen müsste die Kette bis Vilnius durchhalten. Das scheint mir zu gewagt und ich rufe die angegebene Telfonnummer in Riga an, wo mich eine freundliche junge Frauenstimme auf Lettisch anspricht. In meinem besten Englisch erkläre ich mein Problem und nachdem sie erfahren hat woher wir kommen, erklärt sie mir in akzentfreiem Deutsch den Weg zur Niederlassung. Gott sei Dank, diese Sorge bin ich los!

 Jurmala in Kürze:

Jurmala liegt direkt vor den Toren Rigas. Hier trafen sich seit dem 19. Jh. die Besserverdienenden und Stützen der Gesellschaft, die hier auch wohnten und der Stadt ein Flair verliehen, sodass man sie die 'Riviera Lettlands' nannte. Für die Rigaer Bürger war Jurmala der Badeort der Region. Mondäne Villen, kilometerweit Häuser im russischen Datschen-Stil und Hotels prägten das Bild des Städtchens. Es liegt auf einem schmalen Streifen Land, nur 32Km lang zwischen dem Fluss Lielupe und der Ostsee und ist eine Konglomeration der Orte Jurmala, Kermeri und Sloka. Hier ist der Ostseestrand breit, kilometerlange kieferbewachsene Dünen säumen einen feinen Sandstrand. Etwas abseit liegt der Ort Kermeri mit seinen schwefelhaltigen Heilquellen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte hier ein reges kulturelles Leben, bis der Ort im ersten Weltkrieg zerstört wurde. Nach dem Aufbau begann eine erneute Phase der Bäder- und Urlaubskultur. In Sowjetrussland war Jurmala ein Ort der Erholung für die Werktätigen. Man zog abgrundhässliche Betonbauten hoch, mit denen das Stadtbild bis heute vergeblich kämpft. Der Ort wird langsam wieder neu retausriert, vielerorts fehlt dafür allerdings das Geld. So kann man wunderschöne Häuser sehen, in deren unmitelbarer Nachbarschaft verfallene Gebäude stehen. Auch viele abgebrannte Häuser haben wir gesehen und man munkelt, dass hier aus Spekulationsgründen das eine oder andere Häuschen 'warm abgerissen' wurde. Die Kriminalitätsrate soll sehr hoch sein, Stichwort russische Mafia, man sieht überall Videoüberwachung und private Security.

Wir fahren an den breiten Strand, an dem sich wegen des Wetters nicht allzuviele Zeitgenossen tummeln. Nach einem kleinen Spaziergang speisen wir in einem russischen Restaurant zu Abend und bummeln noch etwas durch die Kleinstadt. Der Kern des Hauptortes ist ausnehmend hübsch hergerichtet. Später suchen wir unsere Schlafstätte auf, die wir nach einem kurzen Check durch den Security-Mann betreten dürfen. So sicher haben wir noch auf keiner Reise genächtigt.

Der Strand von Jurmala in der Rigaer Bucht

Die Strassen....

....mit prächtigen Häusern


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