Tallinn - Pärnu - Häädemeeste (167 Km)
|  Die Bikes im Dauerregen | Der Tag beginnt trübe. Draussen 
        regnet es ohne Unterlass, aber wir lassen uns nicht die Laune verderben, 
        sondern sind auf diese interessante Stadt gespannt, die wir heute besichtigen 
        wollen. Schnell das Frühstück verdrückt, in die Regenklamotten 
        gezwängt und schon geht's los Richtung Innenstadt. Zur Orientierung 
        verwenden wir wieder die Karte des jungen Russen, die uns ohne weitere 
        Umwege direkt in die Altstadt zurückführt. Der Regen rinnt ohne 
        Unterbrechung. Das glitschige Kopfsteinpflaster, das in der gesamten Innenstadt 
        die Seitenstrassen bedeckt, erfordert vorsichtige Fahrweise. Nachdem wir 
        ein Parkplätzchen gefunden haben, stellen wir fest, dass unsere Ausrüstung 
        bezüglich des schlechten Wetters unzureichend ist und beschliessen, 
        erst einmal Regenschirme zu kaufen. Im zentralen Kaufhaus erstehen wir 
        zwei italienische Modelle, die praktisch, da zusammenklappbar sind. Meiner 
        allerdings klappt wie von Geisterhand getrieben automatisch auf, immer 
        dann, wenn man es eigentlich nicht erwartet, aber immerhin war der Preise 
        sehr moderat für das gute Stück, wie bisher alles sehr günstig 
        war. | 
|  Die Oberstadt | So gerüstet, machen wir uns auf 
        den Stadtrundgang. Als wir gerade von den Motorrädern weglaufen wollen, 
        kommt eine junge Frau mit zwei Kindern auf uns zu und fragt in leidlichem 
        Englisch, woher wir kommen und wohin wir wollen. Wie es sich herausstellt 
        ist sie grosser Motorradfan, kommt aus der nordöstlichen Stadt Tartu 
        und bedauert es sehr, dass wir nicht vorhaben ihre Stadt zu besuchen. 
        Ihre Kinder, ca. im frühen Schulkindalter, wollen unbedingt unsere 
        Bikes laufen hören und so werfen wir die Motoren an und sie sind 
        voll des Glücks und lachen, wie es nur Kinder können. Warum 
        erzähle ich das? Nun, es steht stellvertretend für die vielen 
        Begegnungen, die wir im Baltikum, v.a. in Estland machen durften und die 
        uns die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen demonstrierte. Man braucht 
        keine Sorge zu haben, auch wenn man die Sprache nicht versteht, so wird 
        eine Kommunikation durch die Freundlichkeit der Einheimischen trotzdem 
        jederzeit möglich. Zurück zur Stadt: | 
| Der Name stammt von Taani Linn ab, was dänische Stadt bedeutet und 
      darauf hinweist, dass Tallinn eine dänische Gründung aus dem Jahre 
      1154 ist. Später wurde aus dem dänischen Namen Revele das bekannte 
      Reval. 1219 begann eine 770 Jahre dauernde Fremdherrschaft, zuerst waren 
      es Dänen, dann der deutsche Schwertritterorden, der aus der Stadt ein 
      blühendes Handelszentrum als Mitglied der Hanse machte. Im Schutze 
      der Burg, die auf der Höhe gebaut ist, entwickelte sich das bis heute 
      erhaltene doppelte Stadtbild, die Ober- und Unterstadt. Oben logierten die 
      Bischöfe, Adlige und Ritter, unten wohnte das Volk, Kaufleute, von 
      denen einige zu erheblichem Reichtum gelangten. So kam es auch zu blutigen 
      'Kriegen' zwischen Ober- und Unterstadt, was zum Bau massiger Wehranlagen 
      führte, die die Kontrahenten trennten. Mit dem Zerfall des Ordensstaates 
      verlor Tallinn im 17. Jahrhundert seine Bedeutung und gelangte 1710 unter 
      russische Besatzung. Aus dieser Zeit stammen die barocken Bauten. Im 19. 
      Jahrhundert wurde die Stadt zu einem russischen Hafen und nach Bau der Eisenbahn 
      ein wichtiges russisches Handelszentrum. Erst 1918 wurde Estland vorübergehend 
      unabhängig. Die heutige Regierung Estlands hat ihren Sitz in der Oberstadt, 
      im ehemaligen Schloss. Heute ist Tallinn die Hauptstadt von Estland, liegt 
      an einer Bucht des Finnischen Meerbusens und hat 415300 Einwohner. Sie ist 
      kultureller und wirtschaftlicher Mittelpunkt Estlands, evangelischer Erzbischofssitz, 
      beherbergt die Estnische Akademie der Wissenschaften, mehrere Universitäten, 
      ein Konservatorium u.a. Hochschulen, zahlreiche Museen und Theater sowie 
      die Estische Philharmonie. Neben einem botanischen und zoologischen Garten 
      findet man hier noch baltische Filmstudios aus der Sowjetzeit. Alle fünf 
      Jahre begeht man ein riesiges Sängerfest (20000 Teilnehmer), gegenüber 
      dem die deutschen Fischer-Chöre wie amateurhafte Kleingruppen wirken. 
      Gepflegt wird vor allem das einheimische Liedgut, das in seiner Vielfalt 
      an Liedern nirgendwo sonst erreicht wird. Wirtschaftlich dominieren Schiff- 
      und Maschinenbau, elektrotechnische, Textil-, Papier-, chemische, pharmazeutische 
      und Nahrungsmittelindustrie sowie Druckereigewerbe. Tallinn ist Verkehrsknotenpunkt 
      und verfügt über einen grossen Fischereihafen, den neuen Hochseehafen 
      Muuga, den Stadthafen mit Fährverkehr zu mehreren Ostseehäfen 
      sowie über einen internationalen Flughafen. Im Nordosten der Stadt 
      liegt ein berühmtes Seebad. Das Stadtbild verfügt über alle architektonischen Zeugnisse der Vergangenheit, vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Verwinkelte Strassen und enge Gässchen sind typisch. Ein russischer General wollte die Stadt deswegen sogar ganz abreissen lassen, weil er mit seinen Kutschen so schlecht durchkam. Im 2.Weltkrieg wurde Tallinn stark zerstört, danach wurden die Strassenzüge nach einer Bauaufnahme des 18. Jahrhunderts rekonstruiert. Sehenswert sind der beherrschend über der Stadt liegende Domberg (48m über dem Meeresspiegel) mit Befestigungsanlagen des 13.Jahrhunderts und der Domkirche aus dem 13. - 15.Jahrhundert, die Rosenkranzkapelle aus der Mitte des 15.Jahrhunderts. In der befestigten Altstadt laden die Pfarrkirche Sankt Nikolaus (um 1280, Umbau 15. - 16.Jahrhundert), die Heiliggeistkirche (14.Jahrhundert) mit Altar von B.Notke (1483), die Olaikirche (13./14.Jahrhundert; im 15.Jh. umgebaut, nach Bränden im 17. und 19.Jh. erneuert), das Rathaus (14./15.Jahrhundert) und das Schwarzhäupterhaus (15./16.Jahrhundert), Sitz einer mächtigen Kaufmannsgilde, zur Besichtigung ein. Vor der Stadt liegt das ehemalige Schloss Katharinental, Kadriorg, 1718 - 1723 für Peter den Grossen erbaut, das heute ein Museum ist. Nicht zu vergessen die permanente Ausstellung über die sowjetischen Gräuel nach 1945, die direkt gegenüber der russischen Botschaft in der Altstadt von Tallinn abgehalten wird. Hier sind Gefängniszellen und Foltermethoden der Geheimpolizei ausgestellt und rekonstruiert. | 
| Wir gehen in der Oberstadt, auf dem Domberg, los und 
      haben erst einmal einen grossartigen Blick von der Burgmauer über die 
      gesamte Stadt, die allerdings im Dunst liegt, Wolken hängen bis an 
      die Kirchtürme herunter. Beeindruckend ist auch die Alexander-Newski-Kathedrale 
      der russisch-orthodoxen Kirche auf dem Domberg. Hier wird gerade ein Gottesdienst 
      zelebriert und wir drücken uns still in ein Eck und hören den 
      Litaneien zu. Es geht allerdings zu wie in einem Basar, aber das ist wohl 
      normal, der Pope lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Nachdem wir den Domberg besichtigt haben, hier steht übrigens auch das Haus der deutschen Minderheit, kehren wir in ein kleines Café ein. Der Wirt erklärt uns, dass wir im Halteverbot stehen, bietet aber sofort an, unsere Bikes auf seinem Grund sicher zu plazieren, was wir gerne tun. Im Café treffen wir einen betrunkenen Finnen, der in der Nacht zuvor in ebenjenem Zustand niedergeschlagen und beraubt worden war. Er klagt uns lallend sein Leid und schimpft über die Esten wie ein Berserker. Nun verpasst er noch noch sein Schiff, vielleicht sollte er einfach weniger trinken?? |  Tallin vom Schloss aus gesehen | 
|  Blick vom Domberg in die Unterstadt |  Alexander-Newski-Kathedrale | 
|  Der lange Domberg |  Wir jedenfalls können uns über 
        estische Gastfreundschaft nicht beklagen und lassen unsere ganze überflüssige 
        Motorradausrüstung beim Wirt, der darauf aufpassen will und gehen 
        über eine von hohen Mauern umgebene Gasse, den langen Domberg, hinab 
        in die Unterstadt. Die Tallinner Altstadt empfängt uns mit einem 
        massigen Stadttor, das in enge Gassen und verwinkelte Strässchen 
        führt. Der Regen hat nun aufgehört und wir spazieren auf den 
        berühmten Rathausplatz, ein mittelalterliches Ensemble, wunderschön 
        restauriert und bei schönem Wetter mit vielen Cafés zum Draussensitzen. 
        Heute sitzt hier allerdings kein Mensch. Beeindruckend finde ich das Rathaus 
        sowie die älteste Apotheke der Region aus dem 15. Jh., die mit Originalutensilien 
        aufwartet. Wir gehen weiter durch die engen Gassen und besichtigen die 
        Olai-Kirche, die mit ihrem 156m hohen Turm das Stadtbild prägt. Sie 
        stammt aus dem 13. Jh. Direkt gegenüber der russischen Botschaft 
        befindet sich eine permanente Ausstellung zum Juni 1941, als die Sowjets 
        Zehntausende Esten deportiert, gefoltert und getötet haben. Sie ist 
        leider nur auf Estisch und so verstehen wir es nur sehr schlecht. Interessant 
        ist das Portal des Schwarzhäupterhauses, einer Kaufmannsgilde aus 
        dem 14. Jh. Man findet noch etliche Häuser, die eine deutsche Inschrift 
        tragen, was den lange Jahre währenden Einfluss der deutschen Ritter, 
        Kaufleute etc. demonstriert. | 
|  Verwinkelte und.... |  ....steile Gässchen | 
|  Der Rathausplatz |   Die mittelalterliche Stadtmauer | 
|  Häuser an die Stadtmauer gebaut | Nachdem wir noch die Stadtmauer mit 
        ihren Türmen, wovon jeder Einzelne einen eigenen Namen trägt, 
        besichtigt haben, kehren wir in unser Café zurück und beratschlagen, 
        ob wir unseren Tourenplan abändern und schon früher Richtung 
        Süden fahren sollen. Immerhin soll das Wetter dort langsam besser 
        werden. Eigentlich wollten wir in Tallinn noch einen Tag bleiben und uns 
        die Umgebung, Kadriorg, Nömme und Pirita ansehen. Aber wir entschliessen 
        uns dann doch in den Süden des Landes zu fahren, nach Pärnu, 
        um dann weiter zu entscheiden. Gesagt, getan, wir nehmen Abschied von 
        dieser schönen Stadt und begeben uns auf die Hauptstrasse Richtung 
        Pärnu/Riga. Wir tanken an einer Neste-Tankstelle. Der finnische Staatskonzern 
        beherrscht das Tankstellennetz in Estland, man hat nirgends Probleme Markensprit 
        zu tanken. Unser Weg führt über die Aussenbezirke auf einer 
        breiten, gut asphaltierten Strasse ins freie Land. | 
|  Estische Landschaft |  Hauptstrasse Tallinn - Pärnu | 
| Das Wetter hat ein Einsehen und es bleibt trocken, 
      der Himmel reisst sogar hie und da auf. Die Landschaft ist flach, voll sattem 
      Grün und reichlich bewaldet, der Verkehr ist spärlich, Biker sehen 
      wir keine. Wir fahren auf der Hauptstrasse A4 südwärts. In Märjama 
      machen wir einen kurzen Halt und kommen dann gegen frühen Nachmittag 
      in Pärnu an. Bisher haben wir etwa 130Km zurückgelegt. Pärnu 
      strahlt eine beinahe südliche Atmosphäre aus. Die Stadt ist der 
      Badeort der Esten an der Ostsee und war im 19. Jh. ein mondäner Kurort. 
      Man fährt über den gleichnamigen Fluss Pärnu und steht im 
      Zentrum des 60.000 Einwohner Städtchens. Auch hier prägten Schifffahrt 
      und Handel die Geschichte, ein deutscher Friedhof zeigt die mitteleuropäischen 
      Einflüsse über Jahrhunderte. Die eleganteste orthodoxe Kirche 
      des Landes, die Katharinenkirche, sollte man unbedingt besichtigen. Interessant 
      ist auch das sog. Talliner Tor, ein Überbleibsel der Stadtbesfestigung. 
      Die Häuser sind in Holzbauweise gefertigt, klein aber hübsch, 
      darunter mischen sich wenige Steingebäude und Backsteinbauten. Wer 
      mondäne Strandhotels gucken will, ist am Sandstrand der Ostsee richtig, 
      hier stehen die vergilbten Kästen aus dem 19. Jh. in Reihe zur Besichtigung. 
      Jede Menge Cafés laden ein und wir setzen uns ins Zentrum und essen 
      eine Kleinigkeit. | 
|  Pärnu Zentrum mit der Elisabethkirche |  Die Innenstadt | 
| Der Wettergott hat noch mehr Mitleid mit uns bekommen und es wird richtig warm. Wir haben Lust, noch etwas Motorrad zu fahren und beschliessen nach einem Bummel durch die schöne Fussgängerzone von Pärnu, uns ausserhalb nach Quartier umzusehen. Der Weg führt wieder nach Süden. | 
|  Eine heidnische Kultstätte am Wegesrand |  Über Sandpisten entlang der Ostsee | 
| Hinter Pärnu verlassen wir uns auf die Karte und biegen auf kleine Strässchen entlang der Ostsee ein, Sandpisten. So kurven wir durch den Wald, manchmal sinkt die Suzi allerdings doch recht tief ein, wir haben auch eine Menge Gepäck dabei. Langsam wird der Spass etwas mühsam und wir sind froh, als wir wieder auf einer kleinen, aber immerhin asphaltierten, Strasse fahren. Wir befinden uns nun auf der berühmten Via Baltica, jener Strasse, die entlang der Küste nach Süden führt. Estland verfügt über eine Reihe von Vorzügen, dazu gehören die kleinen Hostels, Holzhütten an den Seen und der Ostsee, die man praktisch überall findet und die preiswerte Zimmer haben. So biegen wir bei dem Ort Häädemeeste wieder in den Wald Richtung Ostsee ab und finden ein wunderschönes Quartier direkt am Meer, direkt an der Rigaer Bucht. Wie in einer Badewanne liegt das Wasser da, still und ruhig. Das Abendessen ist gut und reichlich, auch preisgünstig keine Frage, und wir werden Zeugen einer weiteren estischen Vorliebe, der für das Singen. Eine Gruppe älterer Herrschaften stimmt aus vollem Halse Volkslieder an und nicht immer richtig in der Tonlage, aber aus vollem Herzen, werden wir stimmlich in den Abend begleitet. | 
|  Die Rigaer Bucht.... |  ....weiter, einsamer Strand | 
