Fünfzehnter Tag:


 Osterode - Thorn - Gnesen (243 Km)

Ein strahlender Tag kündigt sich an. Die Imbissbude unseres Campingplatzes lädt nicht unbedingt zu einem Frühstück ein und so fahren wir ohne das obligatorische morgendliche Käffchen nach Ostroda. Die dortige Werkstatt ist, Dank der guten Wegbeschreibung unserer Herbergswirte aus Wilkasy, schnell gefunden und wir bekommen den passenden Kettensatz für die Transalp, der bei schönem Wetter zügig montiert ist. Der polnische Mechaniker schüttelt nur den Kopf...'only 18.000 Km and schon Schrott...' murmelt er zweisprachig. Der Preis für den Satz ist nicht teurer, als bei uns zu Hause, aber auch nicht billiger. Jetzt dürfte nichts mehr passieren, mit neuem Material fahren wir in die Innenstadt. Osterode ist ein kleines Städtchen, das ein hübsches Zentrum mit vielen kleinen Läden und Marktständen hat, am Drewenzsee liegt, an dessen Ufer man sehr schön in Cafés sitzen oder spazieren gehen kann.

Die Honda-Rettung: Moto Doctor in Osterode
Der oberländische Kanal verbindet Ostroda mit dem ehemaligen Elbing (Elblag) in Nordmasuren auf dem Wasserweg. Bei Elblag gibt es ein historisches Schiffshebewerk aus dem Jahre 1870, das bis heute den Schiffsverkehr auf dieser wichtigen Verbindungsstrasse 99,5m hebt bzw. absenkt. Leider können wir dieses sehenswerte Bauwerk aus Zeitgründen nicht besichtigen.

Osterode am Drewenz See....

....ein beschauliches Städtchen

Thorn: Altstadt, rechts das Rathaus aus dem 14 Jh.....
Nachdem wir ausgiebig direkt am See gefrühstückt haben und nach einem kurzen Rundgang durch Osterode, fahren wir weiter in südwestlicher Richtung auf der Hauptstrasse Nr. 52 (E261). Am späten Vormittag wollen wir in Thorn, dem heutigen Torun, sein. Der Verkehr ist mässig, aber die Fahrt ist, wie gewohnt, ein Abenteuer: Regelmässig überholt man trotz Gegenverkehr, wir müssen ein ums andere Mal ausweichen, da die PKW sonst einen Crash provoziert hätten. Zum psychologischen Verständnis dieses Verhaltens tragen die Strassenverhältnisse ein gehöriges Stück bei. Hier wälzt sich der gesamte Transit-LKW-Verkehr durch, die Strasse ist einspurig, oft geht es durch enge Dorfpassagen, sodass das Tempo von den zugelassenen 100 km/h noch zusätzlich auf 60 km/h gedrosselt werden muss. Wer hier Strecke machen will, muss wohl etwas aggressiver fahren als anderswo. Unangenehm fallen uns auch die vielen schmutzig rauchenden LKW russischer Bauart auf, die zudem besonders langsam sind.

....unglaublich schön....
Polizisten sehen wir zwar keine, trotzdem fahren wir nicht sehr viel schneller als erlaubt, die hiesigen Bussgeldhöhen entziehen sich meiner Kenntnis, sollen aber teilweise, da willkürlich festgelegt, sehr happig sein. Hinter Osterode beginnt Westpolen. Wir haben die Masuren verlassen. Die Landschaft ist flach, kleine Wäldchen wechseln sich mit Wiesen ab. Wir durchfahren Brodnica, (Strasburg) und erreichen gegen Mittag Thorn, die alte Hanse- und Bischofstadt. Diese ehemals westpreussiche Stadt lag geographisch an der Südgrenze Deutschlands, bis es, wie die gesamte Region, nach 1918/19 polnisch wurde. Nachdem wir bei mittäglicher Hitze direkt am Rest der alten Stadtbefestigung ein Parkplätzchen gefunden und unsere Klamotten verstaut haben, betreten wir durch ein grosses Tor, das berühmte Nonnentor, die Thorner Altstadt. Und es verschlägt uns buchstäblich die Sprache: Das Stadtbild wurde ausnehmend schön restauriert, die alten Häuserfassaden sind prächtig herausgeputzt.
Man muss den Polen ein grosses Kompliment machen, wie sie ihre alten Städte pflegen und nicht umsonst sind sie gefragte Baumeister an allen Orten der Welt, wo es um Restaurierungen geht. Thorn war im letzten Krieg Gott sei Dank unversehrt geblieben und ist deshalb reich an originalen Baudenkmälern. Hier beginnt die Backsteingotik der Ordensritter, die sich nach Norden fortsetzt und ihren Höhepunkt in der nördlich gelegenen Marienburg findet. Auf den gepflasterten Strassen fahren Kutschen und witzigerweise auch Fahrradrikschas, die man für wenig Geld mieten kann. Wir wollen den Herrschaften nicht zumuten, unser Gewicht übers Kopfsteinpflaster zu wuchten, entscheiden uns für einen Fussmarsch und erkunden die Strassen per Pedes. Zu sehen gibt es neben dem Marktplatz, der von vielen Cafés umgeben wird, die berühmten Sakralbauten, wie die Marienkirche, die Johanniskirche und die Jakobskirche. Daneben imponiert das Denkmal des berühmtesten Sohnes der Stadt, Nikolaus Kopernikus, dem grossen Arzt und Astronomen, um den sich bis heute Polen und Deutsche streiten, da jeder für sich in Anspruch nimmt, er sei Angehöriger der eigenen Nationalität. Über kleine Strässchen kommen wir an die Weichsel, den grossen Fluss, der hier am westlichen Stadtrand von Süden kommend durch ganz Polen Richtung Danzig vorbeifliesst.

....restauriert....

....die Jakobskirche

Thorn in Kürze:

Thorn wurde 1231 vom Deutschen Orden gegründet, erhielt 1232 Stadtrecht und entwickelte sich zu einem Handelszentrum, es wurde Mitglied der Hanse. 1264 wurde nordöstlich der »Altstadt« die »Neustadt« angelegt, 1454 erfolgte die Vereinigung beider Teile. Nach dem Sturz der Ordensherrschaft durch die Bürgerschaft kam die Stadt 1454 unter polnische Oberhoheit, erlangte aber, ähnlich wie Danzig, zahlreiche Privilegien, 1588 auch die Religionsfreiheit. Jesuitenfeindliche Kundgebungen führten 1724 zum Thorner Blutgericht (Todesurteile gegen 14 Bürger). 1793 fiel Thorn an Preussen, 1807 - 15 kam es zum Herzogtum Warschau, 1920 wieder an Polen. Die Stadt gehörte 1939 - 45 zum Reichsgau Danzig-Westpreussen und kam 1945 erneut an Polen.
Zwischen dem Deutschen Orden und Polen wurden hier der 1.Thorner Frieden (1411) und der 2.Thorner Frieden (1466) geschlossen. Die vernichtende Niederlage bei Tannenberg 1410 hatte die Herrschaft des Deutschen Ordens erschüttert. Der Erste Thorner Frieden 1411 verursachte grosse finanzielle Belastungen. Nach weiteren militärischen Auseinandersetzungen mit der Krone Polens (1414, 1420-22 und 1430-35) schlossen sich die mit der Ordensherrschaft unzufriedenen preussischen Landstände 1440 zu einem »Bund vor Gewalt« zusammen, der nach Eroberung fast aller Ordensburgen im Februar 1454 dem Jagellonen König Kasimir IV. (1447-92) die Oberherrschaft über das Weichselland antrug. Der sich über 13 Jahre hinziehende, vor allem von Danzig finanzierte Belagerungs- und Abnützungskrieg wurde schliesslich am 19. Oktober 1466 mit dem Zweiten Thorner Frieden beendet. Pommerellen mit Danzig, das Kulmer und das Michelauer Land, Elbing und die Marienburg fielen ebenso an Polen wie das Bistum Ermland (Warmia), wodurch Polen über die Weichselmündung Zugang zur Ostsee gewann. Das in die drei Wojewodschaften Pommerellen, Kulm und Marienburg untergliederte »Preussen königlichen Anteils« wurde vorerst Polen nicht einverleibt, sondern in einer rechtlich nicht eindeutig definierten Union der Krone Polens unterstellt. Da König Kasimir sein Vorhaben, den Deutschen Orden in türkische oder tatarische Grenzlande umzusiedeln, nicht durchsetzen konnte, verblieb dem Orden das östliche Preussen mit Königsberg als eine Art polnisches Lehen. Der Hochmeister wurde in ein Abhängigkeitsverhältnis gebracht, indem er sich verpflichtete, den polnischen König als »Haupt und Oberen« anzuerkennen, einen persönlichen Treueid zu leisten und Kriegshilfe zu stellen; die geplante Aufnahme polnischer Ritter bis zur Hälfte der Gesamtzahl sollte dem Orden seinen vorwiegend deutschen Charakter nehmen. Obwohl sich die Hochmeister den drückenden Vertragsbestimmungen zu entziehen versuchten, stellte der restliche Ordensstaat keine Bedrohung für Polen mehr dar, das mit dem so stark von seiner deutschen Bevölkerungsmehrheit geprägten Weichselland eine beträchtliche Ausweitung seiner politischen, ökonomischen und militärischen Bedeutung erfuhr. An der Weigerung des 1498 zum Hochmeister gewählten Friedrich von Sachsen, den Lehnseid zu leisten, entzündete sich ein neuer Konflikt. Da es dem Nachfolger Albrecht von Hohenzollern-Ansbach nicht gelang, aus dem Deutschen Reich breite Unterstützung zu erhalten, vollzog er, dem Rat Luthers folgend, die Säkularisierung des nur noch knapp 50 Ritter zählenden Ordens und liess sich am 10. April 1525 in Krakau mit »Preussen herzoglichen Anteils« (Herzogtum Preussen, Hauptstadt Königsberg) belehnen. Nach 300 Jahren endete die wechselvolle, durch Christianisierung und Landesausbau gekennzeichnete Geschichte des Deutschen Ordens, dessen Tätigkeit die staatliche Einheit Polens stets gefährdet hatte. Polen, das unter den Kriegen mit dem Orden schwer gelitten hatte, ging dank der Territorialgewinne nun als Ostseeanrainer beträchtlich gestärkt aus der Auseinandersetzung hervor.
Schlendert man durch die Stadt, findet sich manch gut Erhaltenes, so z.B. Teile der mittelalterlichen Stadtmauer mit Türmen und Toren, der Dansker (13./14.Jahrhundert) der 1454 zerstörten Ordensburg, das gotische Rathaus (ab 1393, 1602/03 umgebaut). Es beherbergt heute das Regionalmuseum. Gotische Kirchen, wie Sankt Johannes mit einer gotischen Halle (nach 1250) und der Sakristei von 1410 - 20; Innenausstattung 14.18.Jahrhundert, Sankt Jakob (gotische Basilika, 1309 - 50, Kapellen 1359 - 1424) und Sankt Marien aus dem 14.Jahrhundert; mit Fresken aus dem 14.Jahrhundert, Skulpturen und frühbarocker Grabkapelle, sowie die Heiliggeistkirche (1735 - 56), sind besuchenswert. Zahlreiche Patrizierhäuser, der ehemalige Bischofspalast (1693), das klassizistische Zeughaus (1824) und ein Jugendstil-Theater (1904) ergänzen die Aufzählung. 1853 wurde das Denkmal für N.Kopernikus, der in Thorn geboren wurde, errichtet. Die Stadt wurde 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt, was die Bedeutung der architektonischen Besonderheiten nur unterstreicht!
Heute ist Thorn eine Kreisstadt und Stadtkreis in Polen, mit dem Sitz des Parlaments (Sejmik) der Woiwodschaft Kujawien-Pommern. Die Stadt liegt am grössten polnischen Fluss, an der Weichsel, sie zählt 205800 Einwohner. Neben dem katholischen Bischofssitz, einer Universität, Teilen der Polnischen Akademie der Wissenschaften, einer Offiziershochschule, vielen Museen (u.a. Kopernikus-Museum) und zwei Theatern, besitzt sie auch Industrie wie z.B. Chemiefaserwerke, eine Kunstdüngerfabrik, elektrotechnische, elektronische, Maschinenbau-, Nahrungsmittel-, Textilindustrie sowie einen Flusshafen.



Nikolaus Kopernikus, der berühmteste Thorner

Die Weichsel, Königin der polnischen Flüsse

Ost-West-Transit, Hauptstrasse
Nach dem Rundgang und einer kleinen Kaffeepause in der Sonne fahren wir weiter in südwestlicher Richtung, überqueren die Weichsel und sind schnell wieder auf dem flachen Land Richtung Gnesen (Gniezno), zuerst auf der Strasse Nr. 52 bis Hohensalza, anschliessend ein kurzes Stück auf der 25 Richtung Süden, um dann auf die 256 in westlicher Richtung abzubiegen. Es ist nun schon früher Abend und wir beginnen die Quartiersuche. Da uns unser Blockhaus der letzten Nacht gut gefallen hat, versuchen wir erneut einen Campingplatz zu finden. Ein Schild lässt uns von der Hauptstrasse abbiegen und kurze Zeit später haben wir uns auf Schotterpisten verfahren. Mitten im polnischen Idyll stossen wir auf einen kleinen Bauernhof, wo einige Leutchen mit der täglichen Arbeit beschäftigt sind. Als wir sie ansprechen, sehen wir nur verständnislose Gesichter. Da merkt einer, dass wir aus Deutschland kommen und kurze Zeit später kommt der Urgrossvater ans Tageslicht und erklärt uns in gebrochenem Deutsch den Weg. Er ist ganz begeistert endlich wieder mal seinen Sprachschatz ausgraben zu können. Wofür doch Irrfahrten manchmal gut sein können! Der Campingplatz ist leider belegt, sodass wir uns auf den Weg nach Gnesen machen, wo wir mitten in dem bezaubernden Städtchen am Marktplatz ein billiges Hotel finden, das unser Quartier wird. Am Abend gesellt sich Kryzstof, ein perfekt deutsch sprechender Pole an unseren Tisch und erzählt uns über sein Wanderleben, das ihn mehrfach nach Deutschland zur (Schwarz-) Arbeit geführt hat. Der durchschnittliche Arbeitslohn in Polen beträgt z.Zt. etwa 400.- Euro/Monat. Davon kann man wohl auch hier nur sehr mühsam leben und so gehen viele auf Wanderschaft in den reichen Westen. Die Arbeitslosigkeit liegt teilweise bei 50%, was die Chancen der Menschen nicht unbedingt verbessert.

Landschaft....

....bei Gnesen

Gnesen, Marktplatz:

....architektonisches Kleinod

Blick in die Fussgängerzone

Die gotische Kathedrale
So klingt der Abend während eines herrlichen Sonnenunterganges, der die Stadt in ein bezauberndes Licht hüllt, langsam aus.

 Gnesen und Posen: Wiege der polnischen Staaten

Wir sind hier in Grosspolen, in Wielkopolska, der Wiege Polens. Einst wanderten drei Brüder, der Pole Lech, der Böhme Czech und der Russe Rus durchs Land und hielten Ausschau nach einem geeigneten Fleckchen, um sich niederzulassen. Czech ging in den Süden, Rus wanderte nach Osten. Lech watete durch Sümpfe, durchmass Flüsse und kam in einen dichten Wald. Auf einer Lichtung entdeckte er einen Adlerhorst. Als er den Adler in der Sonne fliegen und die mächtigen Schwingen im Licht weiss scheinen sah, beschloss er, an diesem Ort zu bleiben und zu Ehren des grossen Vogels führte er diesen fortan in seinem Wappen. So entstand die erste Hauptstadt des Landes, Gnesen, auf polnisch Gniazdo, das Nest, und bis heute führt der Staat den weissen Adler in seinem Wappen. Soweit die Sage. Die Stadt geht auf das späte 8. Jh. zurück, wurde im 10. Jh. polnische Hauptstadt bis nach dem 11 Jh.. 1243 erhielt sie als erste polnische Stadt deutsches Stadtrecht und war bis 1320 Krönungsstätte. In preussischer Zeit (1793 - 1806 und 1815 - 1918) war Gnesen Kreisstadt und Zentrum der polnischen Nationalbewegung. Das Erzbistum Gnesen wurde im Jahr 1000 errichtet, war 1821 - 1948 in Personalunion mit Posen und 1948 - 92 mit Warschau verbunden. Im Mittelalter besassen die Erzbischöfe von Gnesen die Rechte des Primas von Polen und Litauen (seit 1416) und übten seit 1572 das Amt des Reichsverwesers bei Thronvakanz aus. Von der einstigen Machtfülle der Königreiche, die von hier aus vor tausend Jahren beherrscht wurden, erinnert nur noch die Kirchenordnung, der polnische Primas hat seinen Sitz in der Kleinstadt mit etwa 70.000 Einwohnern. Sehenswert ist das Ensemble um den Marktplatz und die gotische Kathedrale aus dem 14./15. Jh. mit einer romanischen Bronzetüre. Sie beherbergt das Grabmal des hl. Adalbert. In Grosspolen lebten und leben die Einheimischen vorwiegend von Landwirtschaft, Handwerk und Handel. Die Landschaft ist geprägt von sanften Hügeln, von Wäldern, Seen und endlosen Feldern.



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