Erster Tag:


 Stuttgart - Nürnberg - Marktredwitz - Cheb - Karlsbad - Prag
  541Km / reine Fahrzeit 7:15 Std.

Es kommt hin und wieder anders als man denkt: Über Tschechien, Südpolen und die Slowakei wollten wir in die Karpaten fahren, bis ins Riesengebirge sind wir schliesslich nur gekommen. Ein kurzer Ausflug, gemessen am ursprünglichen Ziel. Dennoch sollen die wenigen Tage des Reisens, die uns viel Spass gemacht haben, beschrieben werden. So, nun der Reihe nach:

Ich hatte mich lange auf diese ungewöhnlich interessante Tour in den Osten vorbereitet, Bücher gewälzt, Städtehighlights ausgesucht und Routen berechnet. Ohne Elischka wären allerdings einige besonders schöne Routenabschnitte mangels Literatur an uns vorbeigegangen. Ihre Tipps waren Gold wert, die Telefonate und Internetrecherchen auf tschechisch, slowakisch und polnisch gar nicht zu erwähnen. In Gegenden, in denen der Tourismus nicht eben entwickelt ist, ein Quartier zu haben, ohne lange suchen zu müssen, kann man gar nicht hoch genug schätzen! Man sollte vielleicht erwähnen, dass Elischka eine junge tschechische Kollegin ist, die uns mit Begeisterung ihre Heimat mit ihren Schönheiten schmackhaft machte, es gebührt ihr mein besonderer Dank.
Die Vorbereitungen sind abgeschlossen, der Abfahrtstag in der ersten Juliwoche ist da, strahlender Sonnenschein an diesem Montag nach sechs verregneten Tagen. Ich besteige meine bepackte gute alte XJ und treffe meinen Reise-Kompagnon Rainer, der wie jedes Jahr mitfährt und wir freuen uns auf einen schönen Motorradtag. Zuerst macht allerdings sein Traktor Mucken. Der Traktor ist seine Neue. Varadero heisst sie und die Anbauten in Kofferform wollen nicht an die Halterung am Bike, aber nach einer handwerklich genialen Idee und einem Umbau unter heisser Sonne in Motorradkluft kann's endlich losgehen.

Wir fahren auf der B27 aus Stuttgart heraus über Schorndorf, Aalen Richtung Nürnberg, an diesem vorbei über Bayreuth bis zum Aufstieg ins Fichtelgebirge. Die Strassenverhältnisse sind bekanntermassen gut, es gibt kaum Lkw-Verkehr, wir kommen zügig voran. Hinter Bad Berneck steigt die B 303 sanft an, es gibt einige Kehren und schon ist man auf 770m im Fichtelgebirge. Nadelwald, einige Seen und viel Ruhe findet man hier oben. In einem urigen Gasthaus in unmittelbarer Nähe der Quelle des Weissen Main kehren wir ein und genehmigen uns in der Vorausschau der auf uns zu kommenden böhmischen Küche ein deftiges Knödelessen. So gestärkt fahren wir auf einer langen Geraden, die steil den Berg wieder hinabführt ins Egerland nach Marktredwitz, dem letzten grösseren Ort vor der tschechischen Grenze. Die Eger, tschech. Ohre, ist linker Nebenfluss der Elbe in Bayern und der Tschechischen Republik, entspringt am Nordhang des Schneeberges im Fichtelgebirge und mündet bei Leitmeritz, tschechisch Litomerice, in die Elbe. Nach der Eger ist das historische Egerland in Nordwestböhmen benannt und die deutsch-böhmische Stadt Eger, tschechisch Cheb, die bereits 1061 Egire hiess. Der Flussname geht übrigens auf das 9. Jahrhundert zurück.

Stilles Naturidyll im Fichtelgebirge

Eger: Statue des Ritters Roland, er symbolisiert die Freiheit der Städte im Mittelalter. Die Bevölkerung nannte ihn despektierlich 'Wastl'
Besonders ansprechend ist Marktredwitz nicht gerade. Nach einer kurzen Pause in aufziehenden Schlechtwetterwolken folgen wir der B 303 weiter ostwärts und gelangen an Arzberg vorbei zur Grenzstation. Hier werden wir vom deutschen St. Bürokratius kontrolliert, der Tscheche winkt uns nur durch. Wir sehen zwar nicht gerade wie eine Schlepperbande oder flüchtige Verbrecher aus, unser Gepäck könnte allerdings einem längeren Fluchtvorgang entsprechen, wollen's dem Mann mit seiner deutschen Kontrollwut also nachsehen.
Wir sind in Böhmen, pardon, 'Wästbeehmen bittäh', man spricht in diesem Land deitsch mit einem herrlichen Akzent! Und: Es bleibt trocken. Nun sind es nur noch wenige Kilometer bis Cheb, dem ehemaligen Eger. Die Strasse ist gut asphaltiert und lässt ohne Probleme auch höhere Geschwindigkeiten zu. Von Elischka kenne ich die Tarife der Rennleitung, die allerdings für tschechische Bürger anders sein sollen als für Ausländer, das sollte man berücksichtigen und wir passen unsere Geschwindigkeit an die Bedürfnisse des tschechischen Gesetzgebers an. Die berüchtigten Löcher im Asphalt tun sich zumindest hier noch nicht auf. Auch halte ich vergeblich nach den Vietnamesenmärkten und den berüchtigten Gartenzwergständen Ausschau, sie sind heute nicht da. Kurz vor der Stadt sehe ich auf der Gegenspur dafür etwas Anderes: Eine Radarfalle, der zugehörige Polizist liegt hinter einer Leitplanke auf der Lauer, für den Verkehr völlig unsichtbar. Holzauge sei wachsam für die weitere Tour!


Der Marktplatz von Eger (Cheb), gepflasterte Bürgerlichkeit, rechts ein Teil der Franziskanerkirche
Cheb (Eger) präsentiert sich wie die meisten ehemaligen Ostblockstädtchen: Triste Aussenbezirke mit hässlichen Häusern und ein Ortskern aus dem Bilderbuch. Der zentrale, gepflasterte Platz wartet mit grossartiger Architektur auf. Nach einem Rundgang und einem kleinen Espressopäuschen, das wir mit Blick auf das Treiben um uns her und den schönen Platz einlegen, besteigen wir erneut die Bikes und verlassen die Stadt, die Goethe besungen hat und in der Wallenstein sein unrühmliches Ende fand. Mehr Zeit haben wir heute nicht, v.a. die Kaiserburg können wir nicht mehr besichtigen.
Auf der breit ausgebauten E48 geht es ostwärts im zunehmenden und warmen Sonnenschein Richtung Karlsbad (Karlovy Vary). Eine Schande ist der nicht enden wollende Strassenstrich, an dem sich sehr junge, knapp bekleidete Frauen aus dem gesamten ehemaligen Ostblock feilbieten müssen. Es ist zum Kotzen. Was für ein Betrieb hier des Nächtens herrschen muss kann man sich lebhaft vorstellen.

Rokoko- Fassaden....(Gabler Haus)

 Eger in Kürze:

Eger, (tschechisch Cheb), Stadt im Westböhmischen Gebiet, an der Eger, Hauptort des historischen Egerlandes, 31600 Einwohner; Maschinen-, Textil- und chemische Industrie; bedeutender Verkehrsknotenpunkt.
Stadtbild: Die architektonischen Schätze der Stadt erinnern daran, daß in Cheb Balthasar Neumann, der bedeutende Bauherr der Kathedrale in Würzburg, geboren wurde. Zahlreiche grosse Baumeister waren hier tätig. Kaum eine Stadt kann sich mit so seltenen Denkmälern rühmen. Eine der schönsten mitteleuropäischen romanischen Sehenswürdigkeiten ist die Burg von Cheb, bewacht vom Schwarzen Turm. Hinter der steinernen Befestigung verbirgt die Burg ein europäisches Unikat - eine seltene zweistöckige romanisch-gotische Kapelle. Das Symbol der Stadt, der Spalicek, dessen Erinnerung bis ins 13. Jahrhundert reicht, aber auch die anderen erhaltenen städtischen Häuser, bilden die unvergeßliche Atmosphäre des Cheber Marktplatzes. Der historische Stadtkern durchlief an der Wende der 50. und 60. Jahre des 20. Jahrhunderts umfangreiche Sanierungen und Rekonstruktionen. Wegen seiner baulichen und architektonischen Einzigartigkeit wurde Cheb, in dem heute über 32 000 Einwohner leben, im Jahr 1981 zum städtischen Denkmalgebiet erklärt.
Die Highlights sind: Gut erhaltener mittelalterlicher Stadtkern, Stadthaus, in dem Wallenstein ermordet wurde (Museum), Rathaus (18. Jahrhundert), gotische Hallenkirche Sankt Nikolaus und Elisabeth (1230-70, mit älteren Teilen; nach Brand von 1270 Neubau, Umbau 1456-76), der Turm 1747 barockisiert; Klara-Kirche von C. Dientzenhofer (1708-11). Im ehemaligen Franziskanerkloster und einem Komplex mittelalterlicher ('Stöckl') und frühneuzeitlicher Häuser wie das historische Stadtmuseum.
Geschichte: Bei der als Mittelpunkt des Egerlandes (bis 1945 fast rein deutsch besiedelt) errichteten Burg (1125, Mitte des 12. Jahrhunderts Kaiserpfalz) entstand die Siedlung, die 1242 Stadtrechte erhielt und 1277 Reichsstadt wurde. 1322 verpfändete Kaiser LudwigIV., der Bayer, Eger an Böhmen (1806 rechtlich neu fixiert).

'Ich hab hier bloss ein Amt und keine Meinung'
Schiller 'Wallenstein' (Wallensteins Tod, I,5).


....und hübsche, windschiefe Häuser wie z.B. der Spalicek

Überall locken kleine Kneipen und Cafés
Die Strasse aus Eger hinaus verläuft anfangs schnurgerade nordostwärts. Wir fahren durch hügeliges und teilweise bewaldetes Gelände, Landwirtschaft dominiert die Szene. An Sokolov vorbei führt die Route. Kurz vor Karslbad sehe ich einen Abzweig Richtung Loket, einem Tipp von Elischka. Die Böhmische Königsburg Loket (Ellbogen) wurde im 12. Jh. als Trutzburg zum Schutz der Grenze errichtet, sie wurde damals als Schlüssel zum Königreich Böhmen bezeichnet. Also abgebogen und nach ca. 10Km auf einer schmalen Landstrasse stehen wir unvermittelt vor einer steil aufragenden Burg, die auf einem Felsen thront. Über die Eger, die unseren Weg begleitet hat und hier einen Mäander bildet (daher wohl der Name), führt eine alte Steinbrücke und schon fahren wir auf den Marktplatz des Örtchens unter der Burg. Auch hier, wie schon in Cheb, sehen wir nur liebevoll restaurierte und reich verzierte Fassaden. Inmitten des Dorfes steht ein schöner Brunnen, um den herum sich Menschen aller Altersstufen versammelt haben, die uns neugierig und distanziert mustern. Wie häufig in Tschechien ist auch hier der innerörtliche Strassenbelag aus Pflastersteinen bestehend. Wir rumpeln zu einem Parkplatz und geniessen ein paar Minuten diesen beschaulichen Ort.

Loket: Gewaltige Burganlage oberhalb....

....der Eger

Entzückender Dorfplatz, Dreifaltigkeitsstatue

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Die Sonne kommt langsam zurück, es ist ausgesprochen warm geworden.
Wo eine solche Burganlage steht, gibt es bestimmt auch eine bedeutende Geschichte dazu, man stolpert in diesem Land schliesslich von einem Kulturhighlight zum nächsten. Also will ich eine kurze Beschreibung nicht fehlen lassen:

 Loket in Kürze:

"Heute waren wir in Loket, das über alle Beschreibungen schön liegt und sich als ein landschaftliches Kunstwerk von allen Seiten betrachten lässt." Johann Wolfgang von Goethe war oft und gern im Gebiet der westböhmischen Kurorte. Dreimal fuhr er durch Loket ohne Halt zu machen, zehnmal verblieb er einige Stunden.
Geschichte: 1234 ist Loket erstmals schriftlich erwähnt. Kaiser Karl IV. mass der Stadt eine derart große Bedeutung bei, dass sie von der tschechischen Krone nicht veräußert werden durfte. Während den hussitischen Kriegen verpfändete Kaiser Zikmund die Burg und das Herrschaftsgut, und im Jahr 1434 ging dieser Besitz in das Eigentum des Geschlechts der Schliks über. Erst Ende des 16. Jahrhunderts ging die Burg zurück an die Bürger. Der dreißigjährige Krieg brachte der Stadt große Qualen und einen wirtschaftlichen Niedergang, der erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts beendet wurde, zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Burg in ein Gefängnis umgebaut, erst Anfang des 20. Jahrhunderts bekam sie ihre heutige Form. Durch die beiden Weltkriege - insbesondere durch den Zweiten, als dessen Folge die deutsche Bevölkerung vertrieben wurde - verlor die Stadt zunehmend an Bedeutung und dem historischen Stadtkern drohte immer mehr der Verfall. Dieser setzte sich bis zum Zusammenbruch des Ostblocks fort. Im Jahr 1992 erhielten die Bürger der Stadt die Eigentumsrechte an der Burg zurück, die seither restauriert wird.

Zwei Hotels tragen heute den Namen Goethes. So man Zeit hat, wäre eine Burgführung sicher interessant, ebenfalls sollte man sich auch die Porzellanausstellung nicht entgehen lassen. Wir haben diese Zeit heute nicht, leider, es ist zu schön das Plätzchen!
Das kurze Stück zurück zur Hauptstrasse ist schnell gemeistert und nach wenigen Kilometern ostwärts im Egertal sind wir in Karlsbad (Karlovy Vary). Hier wieder das gleiche Bild: Tristes Umfeld und schmucker Kern, allerdings mit Schönheitsfehlern. Rainer nennt die Innenstadt treffend eine Mischung aus Wiesbaden, Baden-Baden und Pforzheim. Wer Pforzheim, die vielleicht hässlichste deutsche Stadt kennt, weiss genau, was gemeint ist. Wir fahren direkt ins Zentrum, an einem Schild vorbei, das unschwer als Verbotsschild zu erkennen ist mit einem Zusatz allerdings, den wir mutig als Genehmigung für Biker interpretieren.

Angekommen in Karlsbad

Kurherrlichkeit und ein....

....zur Liegewiese umfunktionierter Park

Fiaker-Taxi
So stehen wir unvermittelt am ehemaligen Kurpark, parkieren direkt am Fluss Tepla und erkunden das berühmte Kurbad, in dem sich alle KuK-Prominenz, Goethe, Beethoven und unzählige Andere kuriert haben, per Pedes. Uns fällt dabei, neben den sozialistischen Bausünden, der erst teilweise erfolgte Renovierungsfortschritt auf: Neben wundervollem Jugendstil und Renaissancefassaden sieht man doch hie und da ziemlich angegriffene und angefressene Häuserfronten. Die Innenstadt ist Fussgängerzone mit Fiaker-Taxis für die Fusslahmen. Viele Geschäfte im westlichen Stil und einige Kaufhäuser ergeben ein Bild, das o.g. Beschreibung entspricht. Als herausragende Bausünde sieht man im Zentrum eine gehörige Dissonanz: Kilian Ignaz Dientzenhofers Dekanalkirche St. Maria Magdalena von 1736, eines seiner reifsten Werke, blickt hinab auf eine Sprudelkolonnade von 1975, die den Charme einer Bahnhofskneipe ausstrahlt. Die berüchtigten Russen, die hier ihre Mafia-Dollars verprassen sollen sehen wir nicht, wen wundert's? Sie werden wohl kein Schild um den Hals haben.

  Karlsbad in Kürze:

Karlsbad (tschechisch Karlovy Vary), Stadt und Kurort im Westböhmischen Gebiet, Verwaltungssitz des Bezirkes Karlsbad, an der Mündung der Tepla in die Eger, 374m über dem Meeresspiegel, 54700 Einwohner; seinen Weltruf verdankt es seinen zwölf alkalischen Glaubersalzquellen (bis 72ºC); Porzellanindustrie, Glaswerk, Oblatenbäckerei, Herstellung von Karlsbader Salz (Glaubersalz), das als Abführmittel Furore machte und bis heute noch macht.
Stadtbild: Der Markt am Teplufer wird überragt vom alten Stadtturm, dem letzten Überrest eines auf Kaiser Karl IV. zurückgehenden Stadtschlosses. Die Dreifaltigkeitssäule von 1716, die Marktbrunnkolonnade von 1883 und ihr gegenüber das wohl schönste Jugendstilhaus Karlsbads runden das eindrucksvolle Bild. Die Schloßbrunnanlage unterhalb des Stadtturms, ein Jugendstilbau des Wiener Architekten J. F. Ohmann, wird derzeit renoviert. Tepl-aufwärts, vorbei am Hause „Drei Mohren“, wo Goethe neunmal wohnte, führt die Flaniermeile Karlsbads, die Alte Wiese, zum berühmten Grand-Hotel Pupp, einem weitläufigen Gebäudekomplex in Neurenaissance und Neubarock. Weitere bemerkenswerte Bauten sind die Mühlbrunnkolonnade, eine dreischiffige Säulenhalle in klassisch antikem Stil, das Stadttheater, einer der schönsten neubarocken Bauten der Wiener Architekten Fellner und Helmer sowie das von den gleichen Architekten erbaute Kaiserbad. Zur Dominante des Stadtbilds wurde das auf einer Anhöhe gelegene Hotel Imperial, 1912 von der internationalen Hochfinanz errichtet und damals das größte und modernste Hotel in Mitteleuropa. Auf den Höhen rings um die Stadt locken Aussichtstürme, meist mit Restaurants, gehörten doch Waldspaziergänge seit jeher zu einem wichtigen Bestandteil der Karlsbader Kur.
Geschichte: Karlsbad, im 14.Jahrhundert als 'Warmbad' erwähnt, wurde nach Kaiser Karl IV. benannt; 1370 Stadtrecht; ab 1711 Entwicklung zum Kurort.
Die Karlsbader Beschlüsse zwischen Österreich, Preussen und acht weiteren deutschen Staaten auf Betreiben Metternichs zur Unterdrückung der freiheitlichen Bewegungen, die republikanische und demokratische Erneuerungen forderten, wurden hier 1819 gefasst. Sie führten bald, am stärksten in Preussen, zu den sog. Demagogenverfolgungen.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelt sich Karlsbad zum Luxusbad der Reichen und gleichzeitig zum Weltbad für alle Gesellschaftsschichten. Zählte man zu Beginn des Jahrhunderts jährlich etwa 1000 Kurparteien, so waren es um die Jahrhundertwende bereits 50.000, um 1911 mit 71.000 Kurgästen und 200.000 Durchreisenden den Höhepunkt zu erreichen. Neben Kaiserinnen und Königen, neben Dollarmillionären und indischen Maharadschas gab es kaum eine Berühmtheit, die Karlsbad nicht zu seinen Gästen zählen konnte, sei es Friedrich Schiller, Theodor Körner, Adalbert Stifter, Theodor Fontane oder Gerhart Hauptmann, Leo Tolstoj, Iwan Turgenjew oder Nikolai Gogol, Ludwig van Beethoven, Niccolò Paganini, Robert Schumann, Johannes Brahms, Frédéric Chopin, Franz Liszt, Richard Wagner oder Max Reger, Fürst Blücher, Fürst Bismarck oder Karl Marx – die Reihe der Namen ließe sich schier endlos fortsetzen.


Mondäne Fassaden an der Tepla entlang

Städtisches Getriebe
Im Park vor dem schönen Kurhaus tummeln sich die Einheimischen auf der Wiese und geniessen die Sonne. Wir haben noch ein schönes Stück zu fahren und brechen nach dem Rundgang wieder auf. Das Tal der Eger lassen wir auf der E48 in südöstlicher Richtung hinter uns. Breit ausgebaut ist sie, die Strasse, aber mit einigen Bitumenschmierereien und unerwarteten Löchern versehen, die sich auftun, sodass wir eine (etwas) langsamere Fahrweise als bisher wählen. Neben denvielen Lkws, die sich mautfrei Richtung Prag bewegen und teilweise richtig tiefe Spurrillen hinterlassen haben, fällt uns die ungezügelte Rasermentalität der hiesigen Kfz-Lenker auf. Als Biker scheint man nur ein nebensächliches Faktum des Strassenverkehrs zu sein und ich werde einige Male übel geschnitten. Geschwindigkeitsbeschränkungen sind in Tschechien offensichtlich eine Aufforderung zur Verdopplung der angezeigten km/h. So erreichen wir Krusovice, wo eine grössere Brauerei steht, es riecht nach Malz und man sieht von der Strasse aus die Braukessel. Wir machen einen kurzen Halt an einer Tankstelle, bevor wir weiter nach Prag fahren.

Böhmische Landschaft zwischen Karlsbad und Prag

Als wir den günstigen Sprit (1 Ltr. Super kostet 23,50.- Kronen) tanken, sehe ich in unmittelbarer Nachbarschaft eine Holzbude, die Raststätte und Lädchen ist. Auffällig sind sofort die zu Hunderten (oder waren's weniger?) aufgestellten Gartenzwerge in allen Farben und Daseinsformen. Naja, wir müssen schliesslich keine mitnehmen.
Über sanft geschwungene Hügel, durch kleine Wäldchen und felsige Umgebung erreichen wir die Stadtperipherie. In der abendlichen Sonne sehen die Einkaufszentren an den Ausfallstrassen eigentlich ganz passabel aus, alles in westlicher Hand, Obi-Baumarkt neben Lidl und Hornbach, dazwischen Media-Markt und Penny. Wie zu Hause. Nur die Strasse wird schlecht, furchtbar schlecht sogar. Riesige Löcher, Kopfsteinpflaster und Mulden sowie die nicht versenkten Strassenbahnschienen zwingen uns ein ums andere Mal ins Schrittempo. Überhaupt gilt für ganz Tschechien: Jeder Bahnübergang ist um der Fahrsicherheit Willen im Schneckentempo zu überqueren, sonst Gnade Fahrwerk und Fahrer.
Auf jeder Tour passiert mir ein Malheur: Ich will es nicht verschweigen, aber während der Einfahrt in die Stadt klappt mein Tacho plötzlich auf Null, Welle gerissen. Na, da werde ich wohl morgen kurz Ersatz beschaffen müssen, denn noch mehrere tausend Kilometer ohne Geschwindigkeitsanzeige will ich mir nicht zumuten. Mein geschätzter Reisegefährte nimmt diesen Umstand wieder einmal als Vorwand mein Bike eine 'alte Antiquität' zu schimpfen, die uns Morgen wieder Stunden kosten wird. Ihm als mechanisch Hochbegabtem die Bedeutungslosigkeit des Vorfalls klar zu machen scheitert wieder einmal an seinem technischen Verständnis. Meine XJ eine Antiquität, ha! In Puncto Zuverlässigkeit gibt es kaum was Besseres, eine Frechheit das!
Vom Zentrum der goldenen Stadt sehen wir heute nicht viel, da erst der Weg zu unserer Unterkunft ansteht, die etwas ausserhalb des Zentrums in Brezineves liegt. Umziehen, frisch machen, danach wird man weiter sehen. Dort angekommen, werden wir freundlich empfangen und uns Hilfe bezüglich des Auffindens einer Yamaha-Vertretung zuteil, sodass wir für die Reparatur morgen bestens vorbereitet sind. Man spricht deutsch, Pardon deitsch, die Verständigung ist hierzulande wirklich kein Problem.
Einige dänische Biker sind ebenfalls hier untergekommen: Familien auf dem Weg zum Plattensee, die Eltern auf den Bikes, die Kinder im Seitenwagen.
Nach einer ausgiebigen Dusche plagt uns der Hunger und am späten Abend suchen wir ein mir von Vorbesuchen bereits bekanntes Restaurant auf, das für seine gute böhmische Küche bekannt ist. Golemuv, Golem, heisst die Örtlichkeit, nach der berühmten Sagenfigur, die Gustav Meyrink beschrieben hat. Am Eingang grüsst eine Figur, die dem Lehmgeschöpf von Rabbi Löw ähnlich sein soll, mit grummelnder Computerstimme die Besucher, sobald sie die Schwelle des Restaurants übertreten. Irgendwie wie bei Disneys daheim, aber das Interieur ist geschmackvoll und die Küche gut. Die riesigen Portionen schaffen wir nicht und nach einigen nordböhmischen Weinchen, leicht, spritzig und vergleichbar einem Lemberger Viertele, sind wir dann froh, in unserer Unterkunft den Reisetag beschliessen zu dürfen.



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