Allgemeines:
Die Route
des Grandes Alpes ist einer von drei berühmten französischen
Wegen durch die Alpen zum Mittelmeer. Früher stellte sie eine grosse
Herausforderung an den Reisenden dar, der zu jeder Zeit mit Steinschlag
und Erdrutsch zu rechnen hatte und der über unbefestigte Wege und
Strassen ziehen musste, was sich heutzutage wie eine Schilderung aus einer
anderen Zeit anhört, da die Wege und Strassen zwischenzeitlich hervorragend
ausgebaut und bis auf wenige löchrige Abschnitte auch von Bergunerfahrenen
gut zu meistern sind. Allerdings kostet es erhebliche Summen, die menschliche
Infrastruktur gegen die Gewalten der Natur zu verteidigen. Was noch vor
Jahrzehnten zwingend eine mehrtägige Reise war, kann man heute, vorausgesetzt
das Wetter macht keine Kapriolen, mit etwas Sitzfleisch und Routine gut
in zwei Tagen bewältigen, zu empfehlen ist ein eintägiges Abenteuer
keinesfalls, es wäre ein Gewaltritt, der zudem keine Besichtigungen
von Landschaft und Städtchen zuliesse. Zu viele Highlights säumen
die Strecke und hie und da lohnt ein Abstecher zu nachbarschaftlich gelegenen
Zielen hin, die für sich alleine bereits ein Reiseziel darstellen.
Kurz: eine Fahrt auf der Grandes Alpes wird jedem Biker eine bleibende
Erinnerung sein, von der man noch lange zehren kann und die jederzeit
zur Wiederholung einlädt. Ich bin mehrere Abschnitte gefahren und
habe verschiedenen Varianten von der ursprünglichen Route genommen,
- es war immer ein Erlebnis.
Es sollen 10
000 bis 15 000 Kurven, darunter Hunderte von Haarnadelkehren zu fahren
sein, gezählt habe ich sie nicht.
Die Hochalpenstrasse beginnt in Thonon-les-Bains am Südufer des Genfer
Sees und führt ziemlich genau in Nord-Süd-Richtung, und meist
der N 202 folgend, über 680 Kilometer und sechs der höchsten
Alpenpässe nach Menton an der Côte d'Azur. Historisch werden diese Orte der ursprünglichen Planung allerdings nicht gerecht, es sind die heutigen Ausgangspunkte im Norden am Genfer See und im Süden am Mittelmeer. Gedacht war die 1909 aus der Taufe gehobene, rein touristische Strecke, als Verbindung zwischen den wesentlich mondäneren Badeorten Evian im Norden und Nizza im Süden, der Blumenmetropole.
Man kann auch z.B.
vom schweizer Wallis über Chamonix kommend, bei Le Fayet auf die
'Route' stossen. Auch noch weiter südlich gibt es aus zahlreichen
benachbarten Regionen die Möglichkeit, auf die Route zu treffen.
Sie ist ein ausgemachter Sommerweg, also nur von Ende Juni bis Anfang
Oktober befahrbar, weil in diesen Höhen die Schneeschmelze sehr spät
und der erste Schneefall sehr früh einsetzt, in den übrigen
Jahreszeiten muss man auf die weiter westlich gelegenen Parallelstrassen
der 'Route d'Hiver' und der 'Route Napoleon' ausweichen, die zwar ganzjährig
offen gehalten werden, der 'Route des Grandes Alpes' aber an landschaftlicher
Grossartigkeit und sportlichem Reiz weit nachstehen.
Savoyen:
Durch wilde Täler rund um den Mont Blanc:
Das
erste Teilstück wird völlig vom Monarchen, dem Mont Blanc beherrscht,
dessen Massiv man in einem riesigen Bogen durch Wildflusstäler umfährt.
Schon am Genfer See kann man auf die Gletscherwelt des Mont-Blanc-Massivs
blicken. Lassen wir die breiten Strassen und die Autobahn für den
Pkw-Verkehr und uns der reizvolleren Strecke über kleine Landstrassen
zuwenden, die südlich über La Baume und Essert Romand führt.
Bereits wenige Kilometer nach dem Start in Evian, lohnt sich bei eben
jenem La Baume ein Abstecher nach links auf den Pas des Morgins zu unternehmen,
der ins Wallis führt und umgekehrt eine Gelegenheit bietet, aus dem
Rhônetal herauf hier die 'Route' zu beginnen. Auf der 'Route' weiter
südlich, nach einer Fahrt über sanft geschwungene Kurven im
lieblichen Flusstal, stösst man in Cluses doch auf die Autobahn,
die mautfrei nach Chamonix verläuft. Den Monarchen können wir
bereits jetzt in voller Pracht bestaunen. Chamonix liegt übrigens
nicht auf der 'Route', sondern etwas abseits, man sollte sich aber diesen
Ort, der Heimat vieler grosser Alpinisten (Rébuffat und andere)
war, nicht entgehen lassen. Nicht um des heutigen Alpinrummels wegen,
nein, die gewaltige Flanke des Mont Blanc, der seine Gletscher weit ins
Tal herabstreckt, ist unbedingt eine Besichtigung aus der Nähe wert.
Nach der Begutachtung des Monarchen (und seiner nicht weniger imponierenden
Nachbarn) geht der Weg zurück bis Gérvais les Bains, wo wir
Richtung Mégève abbiegen und der N212 folgen. Die breite
Strasse führt nach Südwesten durch den Wintersportort Mégève,
der sich den Titel 'Hauptstadt des Skisports' anmasst, dann durch die
tiefeingeschnittenen Schluchten der Gorges d'Arly. Dieses Strassenstück
gilt wegen der Ausbesserungsarbeiten, die der ständig niedergehende
Steinschlag nötig macht, als eines der kostspieligsten Frankreichs.
In Albertville, wo sich Arly und Isère vereinigen, wendet sich
die 'Route' nach Südosten und führt im Tal der Isère,
der sogenannten Tarantaise, nach Moutiers. Eine merkwürdige Landschaft:
Das weite, dichtbesiedelte Becken ist mit Hochspannungsleitungen übersponnen,
die den Strom von den ringsum gelegenen Stauseen mit ihren Kraftwerken
zum Rhônetal leiten. In Moutiers dreht die 'Route', weiter dem Tal
der Isère folgend, gar nach Nordosten zurück. Durch eine reizvolle
Landschaft mit hellgrünen Matten, dunkelgrünen Waldbergen und
den Schneegipfeln der Vanoise wird endlich der alte Festungsort Bourg-St.-Maurice
erreicht. Kenner rümpfen bereits die Nase. Richtig: Eine landschaftlich
wesentlich reizvollere Alternative bietet sich weit vor Albertville in
Flumet an, hier sollte man die N212 verlassen und Richtung Notre Dame
de Bellecombe auf den Col du Saisies (1633m) und den Cormet de Roselend
fahren. Von einer lieblichen Wiesenlandschaft wechselt man zügig
in hochalpines Gelände, passiert einen Stausee mit Wasserfall und
erreicht nach einer kurvigen Abfahrt ebenfalls Bourg St. Maurice. Wenige
Kilometer noch und wir treffen bei Seez auf den Kl. St. Bernhard, der
aus dem Aostatal herführt. Eine der grossartigsten Pässefahrten,
die Europas Alpen zu bieten haben, kann beginnen.
Sie fängt mit einem Paukenschlag an: 44 Kilometer Auffahrt zum Col
de l'Iseran von 904 auf 2769 Meter -die Superlativisten des Strassenbaus
sind stolz darauf, dass er der (zweit)höchste asphaltierte Alpenpass
ist und das Stilfser Joch noch um 14 Meter übertrifft. Wie mir Einheimische
glaubhaft berichteten, wurde der Col de la Bonnette, der ja heute als
der Höchste der Alpenpässe gilt, künstlich nach oben 'verlängert',
sodass dem Iseran eigentlich das Prädikat 'höchster Pass der
Alpen' weiter gebührt. Bei 1600 Meter Meereshöhe geht es an
der Talsperre von Tignes vorbei, mit ihrer 180 Meter hohen Staumauer von
nicht zu verleugnender Eleganz. Auf dem Iseran, den man trotz einer geradezu
unheimlich sich auftürmenden Serpentinenwand zügig erreicht,
gibt es ausser dem herrlichen Rundblick auf die Gletscher und Firnfelder
der umliegenden Dreitausender eine stimmungsvolle Bergkirche; sie gleicht
einer aus schweren Quadern auf gemauerten Almhütte, die sich zum
Schutz gegen die rasenden Winterstürme in eine Geländefalte
drückt, schwerstes Holzgebälk stützt das Kapellendach gegen
die viele Meter dicke Schneelast. 30 Kilometer abwärts nun noch bis
Lanslebourg und weiter im Tal des Are, der sogenannten Maurienne. Vorher
zweigt bei Modane der Col du Mont Cenis nach Süden ins Piemont ab.
Es beginnt nun der blaue Midi. In St.-Michel-de-Maurienne, das nur 711
Meter hoch liegt, zweigt die nächste, 34 Kilometer lange Auffahrt
auf einen Pass ab, dessen Name uns von der Tour de France her vertraut
ist: Er stellt fast alljährlich die längste und schwerste Bergprüfung
dieser Tour der Leiden. Es ist der Col du Galibier (2556m), den man über
den Col du Télégraphe (1600m) erreicht.
In
der Dauphiné, südlichstes Hochgebirge der Alpen:
Der Scheitel
des Galibier, der als einer der schönsten Pässe der Alpen gilt,
wird in einem 363 Meter langen Tunnel durchfahren, in dem man die Grenze
zwischen Savoyen und der Dauphiné überschreitet. Am Nordeingang
rückblickend sieht man zum letzten Mal den Mont Blanc, vom Südausgang
aus schaut man in das gewaltige Meije-Massiv (3983m), dem südlichsten
Viertausender der Alpen, Les Écrins (4102m) benachbart. Inmitten
dieser hochalpinen Gletscherwelt befindet sich mit 91800 ha der grösste
Naturpark Frankreichs, der Écrins-Nationalpark in den Départements
Isère und Hautes-Alpes.
Haben wir auf der 35 Kilometer langen Abfahrt auch noch den Col du Lautaret
(2058m) passiert, so sind wir von den Nordalpen in die Südalpen hinübergewechselt,
was sofort sichtbar wird: Die der Sonne ausgesetzten Bergseiten bleiben
jetzt kahl, an die Stelle der tiefgrünen Tannen treten die hellgrünen
Lärchen, und auch die Bauweise der Häuser zeigt deutliche Züge
des Midi. In Briançon, das sich mit seinen 1326 Metern die höchstgelegene
Stadt Europas zu sein rühmt, gibt es eine von einem zweifachen Mauergürtel
umgebene Altstadt, deren Gassen für Pkw zu eng sind. Besonders hübsch
ist die Grande Rue mit ihren Treppenstufen und dem munter dahin plätschernden
Bächlein.
Von Briançon aus führen Wege westwärts nach Gap, der
Hauptstadt der Grandes Alpes, ostwärts ins Susatal im Piemont oder
man folgt der 'Route' weiter und beginnt die 21 Kilometer lange Auffahrt
auf den Col d'Izoard (2360m), der vor allem nach Norden zurück eine
prächtige Aussicht bietet. Der Höhepunkt dieses Passes aber
ist die gleich südlich des Gipfels gelegene 'Casse Deserte', steile,
gelb und rötlich leuchtende Geröllhänge, aus denen Felspyramiden
und Felsnadeln hochragen -eine Landschaft von grosser Einsamkeit und wilder
Schönheit. Dann setzt die Abfahrt über eine der gewaltigsten
Serpentinenstrecken der Alpen ein, bis 1000 Meter tiefer die von Vauban
erbaute Festung Château-Queyras erreicht ist. Nochmals 350 Meter
tiefer, nach einer interessanten Tunnelstrecke durch die Schluchten des
Guil, stossen wir auf das Städtchen Guillestre.
In
der Provence:
Aber
sofort geht es wieder 19 Kilometer aufwärts zum Col de Vars (2111m),
der die einzige Verbindung innerhalb des Hochgebirges zwischen der Dauphiné
und der Provence darstellt. Wir durchfahren Ste-Marie-de-Vars, vor wenigen
Jahren noch ein unbekanntes Bergdörfchen, inzwischen ein weithin
berühmter Skiort, und passieren knapp vor der Passhöhe eine
Sammlung moderner Skihotels, Diskotheken und andere Errungenschaften des
Tourismus à la moderne, die den alten Schutzbau Refuge Napoleon
optisch leider ins Hintertreffen geraten lassen. Die 30 Kilometer lange
Abfahrt führt durch Lärchenwälder, die uns schon in einer
Höhe von 2000 Metern empfangen, nach dem bereits ganz provenzalischen
Städtchen Barçelonnette (1132m). Wenn hier Markt herrscht,
sollte man sich Zeit nehmen, etwas zu flanieren und sich in die blumengeschmückten
Cafés verdrücken. Das Städtchen lässt nun zwei interessante
Alternativen auf unserer Reise in den Süden zu: Einerseits kann von
der Route des Grandes Alpes abgewichen werden und der Weg über den
wilden, in den Fels gehauenen Col d'Allos (2240m) nach Colmars-en-Provence
genommen werden, andererseits für Puristen der 'Route' gilt es natürlich,
den Weg über den etwas nach Südosten schwenkenden Col de la
Cayolle (2326m) und die sich anschliessende Daluis-Schlucht aus schokoladenbraunem
bis purpurfarbenem Schiefer, zu nehmen. Abschliessend folgt eine Fahrt
durch die Cians-Schlucht, auf deren Grund die Strasse knapp über
dem Wildwasser führt und deren senkrechte, ja überhängende
Wände so nahe zusammentreten, dass man kein Stück Himmel mehr
sieht. Am Ende unserer Reise fahren wir noch über den Col de Valberg
(1669m) schliesslich und den immer breiter werdenden Vars entlang bis
kurz vor Nizza, wo die 'Route des Grandes Alpes' (und vielleicht wir)
ins Mittelmeer springen.
Nizza, die Blumenschöne glänzt mit einer grandiosen Altstadt,
mit Kunst, Savoir vivre und Kultur allenthalben. Aber das ist eine andere
Geschichte........... |